Hungern gegen einen Hungerlohn

Teilerfolg für die streikenden polnischen Assistenzärzte / Gesundheitssystem und seine Patienten brauchen dringend mehr Geld

  • Wojciech Osinski, Warschau
  • Lesedauer: 3 Min.

Seit fast vier Wochen protestieren polnische Assistenzärzte gegen ein Gesundheitssystem, das seit Jahren sowohl Patienten als auch Ärzten immer wieder die Grenzen der Zumutbarkeit aufzeigt. Vor allem junge Mediziner müssen nach ihrem Studium oft Überstunden in mehreren Krankenhäusern schieben, um etwa steigende Mieten bezahlen zu können.

Der Hungerstreik schlägt inzwischen hohe Wellen und erfährt auch im Ausland starke Aufmerksamkeit. Auslöser der Protestaktion waren mehrere Todesfälle von jungen Ärzten, die nach Dreifachschichten verstorben sind. Mittlerweile finden die streikenden Ärzte aus Warschau breite Unterstützung; der Protest hat sich u.a. auf Kliniken in Wroclaw, Lodz, Szczecin und Gdansk ausgeweitet. In Malopolska etwa wurde am vergangenen Mittwoch der »Tag ohne Arzt« ausgerufen, an dem sich die medizinische Versorgung auf Notfälle beschränkte.

Laut OECD werden in Polen jährlich nur 4,5 Prozent des Bruttoinlandproduktes (BIP) für das Gesundheitswesen ausgegeben, ca. 20 Milliarden Euro. Auf 1000 polnische Einwohner kämen demnach nur 25 medizinische Angestellte. »Wenn es so weiter geht, wird Rumänien bald die rote Laterne an Polen abgeben«, glaubt die Kardiologin Julita Zalewska. Der Personalmangel in den Krankenhäusern trifft nicht zuletzt die Patienten. Zuweilen müssen sie bis zu zwei Jahren auf eine Operation warten, die in anderen Ländern keinen Aufschub dulden würde. Viele Kliniken sind überfüllt; medizinische Geräte sind vielerorts längst veraltet. Am Set des Kinofilms »Götter« (2014) über den Chirurgen Zbigniew Religa etwa stellte Regisseur Lukasz Palkowski erstaunt fest, dass er gar nicht erst Relikte aus den 1960er Jahren anschaffen musste.

»Meine Eltern sind auch Ärzte und sie haben diese Zustände jahrzehntelang hingenommen, da sie es nicht anders kannten. Wir aber wissen, wie es anderenorts aussieht, viele von uns haben im Ausland studiert. Was nützt aber modernes Wissen, wenn wir es in der Heimat kaum anwenden können«, erregt sich der 24-jährige Mateusz, ein Internist aus Sopot. Das marode System können polnische Patienten nur umgehen, sofern sie sich eine Privatbehandlung leisten können. Daher sprießen auch die Privatkliniken am Ufer der Weichsel wie Pilze aus dem Boden. Dem Gros der Hilfsbedürftigen hilft eine solche Entwicklung jedoch nicht.

Die Fachärzte fordern deshalb eine Erhöhung der Gesundheitsausgaben auf 6,8 Prozent des BIP. Unterstützt werden sie dabei von der Ärztekammer NIL und einigen Gewerkschaften. Offenbar brachte ihre medienwirksame Protestaktion die Regierung nun zum partiellen Einlenken. Anfang der Woche wurde eine Novelle beschlossen, nach der die Ausgaben bis 2025 stufenweise auf sechs Prozent angehoben werden sollen. 2018 will man dabei 4,67 Prozent erreichen.

Für die Nachwuchsärzte ist das allerdings allenfalls ein Teilerfolg. »Die Regierenden verpacken es als einen ›historischen Umbruch‹, dabei wird eine Erhöhung auf sechs Prozent in erst sieben Jahren die Leiden der Patienten heute wenig lindern«, glaubt Jaroslaw Blinski von der Genossenschaft OZZL. Die Ärzte ließen sich deshalb nicht »mundtot« machen. Der Gesundheitsminister hält dagegen, dass der Beschluss die Warteschlangen verkürzen werde, wobei er sich einen Seitenhieb nicht verkneifen konnte: »Ich will daran erinnern, dass Ärzte im Vergleich zu anderen Berufsgruppen nicht sonderlich benachteiligt sind. Der Idealismus sollte im Vordergrund stehen, nicht das Geld«, so Konstanty Radziwill.

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