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  • Gentrifizierung in Berlin

Kiezbäckerei muss Grillrestaurant weichen

Erst Mieterhöhung, dann doch die Kündigung: Familie Uzuner soll Laden schließen

  • Christina Palitzsch
  • Lesedauer: 3 Min.

Direkt an der Bushaltestelle in der Neuköllner Pannierstraße liegt die Bäckerei von Familie Uzuner. Von außen wirkt sie mit ihren orangenen Lichttafeln und der türkisen Jalousie unscheinbar und ein wenig aus der Zeit gefallen. Vor dem Laden sitzt eine ältere Dame mit rot geschminkten Lippen auf einer Bierbank und unterhält sich mit einem Bauarbeiter.

Im Laden mit der warm ausgeleuchteten Auslage und den hausgemachten Backwaren strahlt Özler Uzuner die Kundinnen an, eine Frau mit dunklen gelockten Haaren, die am Ansatz schon leicht grau werden. Die Kundinnen sind Erzieherinnen in einer nah gelegenen Kita. Sie mustern die Auslage, entscheiden sich für Gözleme, eine flache gefüllte Teigware. Die Frauen kommen jeden Mittag in die Bäckerei: »Hier können wir es uns leisten, und es ist immer so herzlich.« Zum Kaffee schenkt Frau Uzuner oft noch eine süße Backware dazu oder packt mehr in die braune Papiertüte, als bestellt wurde. Wer kein Kleingeld hat, kann später zahlen. »Wir sind hier zu unseren Kunden eher wie eine Familie«, sagt Özler Uzuner. Vor 33 Jahren zogen ihre Eltern mit der Familie aus der Osttürkei nach Berlin. 1996 übernahmen sie einen Kiosk in der Pannierstraße, vier Jahre später eröffneten sie die Bäckerei nebenan. »Wir Kinder sind hier aufgewachsen«, sagt Özler Uzuner. »Es geht uns hier auch nicht um Konsum, wir wollen für unsere Gäste da sein. Mama drückt auch mal die Kinder, und wir hören uns die Probleme der Leute an.«

Die Uzuners haben immer pünktlich ihre Miete gezahlt, die Fünfjahresverträge wurden stets erneuert, die Mieterhöhung im Mai akzeptiert. Dennoch änderte sich in diesem Jahr der Ton der Hausverwaltung. »Monatelang wurden wir mit der Vertragsverlängerung vertröstet. Es hieß, der zuständige Mitarbeiter ist im Urlaub, gerade krank, oder man kann uns keine Auskunft geben.« Vor drei Wochen wurde der Familie telefonisch zum November gekündigt, die 61-jährige Mutter erlitt einen Nervenzusammenbruch und musste ins Krankenhaus. Für Vermittlungsversuche mit Hilfe der Politik war es da bereits zu spät. Zudem sieht das Mietrecht keinen Schutz für Gewerbemieter vor. Um auf dieses Problem aufmerksam zu machen, verdunkelten kürzlich alteingesessene Läden in der Kreuzberger Oranienstraße ihre Schaufenster. Dort ist ein ganzer Block von der Entmietung betroffen.

Der Senat sucht nach einer Lösung: »Der Senat recherchiert und prüft derzeit, ob wir im kommenden Jahr Schanklizenzen vergeben werden«, sagt Jochen Biedermann, Neuköllner Stadtrat für Stadtentwicklung. Dadurch soll die Zahl der aktuell überall aus dem Boden schießenden Gastronomie reduziert werden. »Dennoch muss man auch da Vorsicht walten lassen. Schanklizenzen könnten zu einer veräußerlichen Ware werden und weitere Verdrängung anstoßen«, warnt er.

Das Gewerbemietrecht ist Bundesangelegenheit. Der rot-rot-grüne Senat will daher im kommenden Frühjahr eine Gesetzesinitiative zur Reform des Gewerbemietrechts in den Bundesrat einbringen.

Für die Familienbäckerei der Uzuner kommt das zu spät. »Wir haben gehört, es soll ein Durchbruch mit dem Eckladen gemacht werden und ein Grillrestaurant kommen«, sagt Özler Uzuner. Sie bekommt glasige Augen. Sie hat außerdem wieder schlecht geschlafen, die vergangenen Wochen waren anstrengend. »Das einzig Schöne gerade ist, wie die Kunden reagieren, und dass die Nachbarschaft am Freitag sogar eine Kundgebung für uns veranstaltet. Und wir sind ja zum Glück nicht ganz weg, der Kiosk bleibt uns noch.«

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