Auf dem Rasen und zu Wasser

Zwei Berliner Sportvereine und ihre jüdischen Wurzeln

  • Thomas Klatt
  • Lesedauer: 7 Min.
Mitglieder des Rudervereins Welle Poseidon in den 1910er Jahren
Mitglieder des Rudervereins Welle Poseidon in den 1910er Jahren

Judentum und Sport gehören zusammen. Berühmt ist etwa Ajax Amsterdam. Der Verein hat eine enge Verbindung zur jüdischen Gemeinde in Amsterdam und von Anfang an hatte Ajax viele jüdische Fans. Manche nennen sich heutzutage selbst »Superjuden« und schmücken sich mit dem Davidstern oder der israelischen Fahne. Oder der SC Hakoah Wien. Wer weiß derzeit noch, dass dieser jüdische Fußballverein 1925 erster österreichischer Meister in der gerade erst gegründeten Profi-Liga wurde? Dass es der jüdische Verein TuS Makkabi Berlin im vorletzten Jahr sogar in ein DFB-Pokalspiel geschafft hat, war eine Sensation. Das sind die prominenten Vereine. Andere Geschichten jüdisch-geprägter Berliner Sportvereine sind weniger bekannt. So gründete sich im Wedding in der Weimarer Republik nach Wiener Vorbild der SC Hakoah Berlin. Und auf den Hauptstadtgewässern gab es einst sechs jüdisch dominierte Rudervereine. Einer von ihnen existiert noch immer.

Es ist ein normales Training der Elf- bis 13-Jährigen auf dem Sportplatz des Weddinger Fußballclubs Corso99/Vineta. Tore aufbauen, Übungswesten, sogenannte Leibchen, anziehen und dann Flanken, Pässe oder Elfmeter üben. Hier gehe es weniger um Leistung als um Fairness und gegenseitige Achtung, sagt der Kassierer des Vereins, der wie andere Funktionäre des Vereins anonym bleiben will: »Wir bringen Jungs und Kinder zusammen, die sonst vielleicht nicht miteinander spielen würden, daran Spaß haben und im Zweifel auch Grenzen kennenlernen. Für die Gesellschaft bringt die Arbeit im Kleinen, im Verein viel mehr als jetzt eine große Kampagne vom DFB.«

Gemeint ist etwa die Fairness-Werbung bei großen Turnieren auf Plakatwänden oder im Fernsehen. Hier aber gehe es Woche für Woche um Basisarbeit. Motto: »Wir im Wedding, Fußball für alle«. Es komme den rund 350 Vereinsmitgliedern vor allem auf Spaß an. Und auf die eigene Geschichte. Die begann, als der jüdische Verein Hakoah Wien 1925 Berlin besuchte.

»Der SC Hakoah Wien hat auch große Erfolge gegen englische Fußballmannschaften eingefahren. Das hat dazu geführt, dass einzelne jüdische junge Herrschaften sich damals entschieden: Wir werden einen Verein gründen, der sich dezidiert auf seine jüdischen Identitäten bezieht. Daraus entstand dann der SC Hakoah«, sagt der zweite Vorsitzende von Corso99/Vineta.
Ha Koah – hebräisch für »die Kraft« – wurde in Berlin immer stärker. Infolge der nationalsozialistischen Arisierung der Sportvereine trugen die jüdischen Klubs Wettbewerbe unter sich aus. Die sogenannte deutsche Makkabi-Meisterschaft konnte SC Hakoah Berlin mehrmals gewinnen.

Viele Mitglieder des Vereinsvorstand sind noch Studierende. Sie wollen einen Antrag für ein Forschungsprojekt eines Berliner Exzellenz-Clusters stellen. Das Zentrum für Antisemitismusforschung an der TU Berlin hat weitere Unterstützung zugesichert. Die Geschichte des Vereins soll wissenschaftlich aufgearbeitet werden. Welche Vereinsmitglieder haben die Nazizeit überlebt, wer kam in der Shoah um?

Nach dem Krieg gründete sich der ehemals nur jüdische Verein in Berlin neu. 1953 spielten dann jüdische Sportler nicht mehr die Hauptrolle, weshalb man entschied, den Verein nochmals ganz anders aufzubauen. »Es waren sehr viele jüdische Überlebende aus der NS-Zeit, die in den Verein gegangen sind, die dann in den nächsten Jahren emigriert sind. Gleichzeitig hat man sich nicht mehr dezidiert als rein jüdischer Club gesehen, sondern hat sich offener aufstellen wollen«, sagt der zweite Vereinsvorsitzende.

So wurde aus Hakoah Berlin der Verein Vineta, der später dann mit Corso99 fusionierte. Heutzutage ist der Wedding durch viele Zuzüge aber auch muslimisch geprägt. Auf dem Spielfeld von Corso99/Vineta stehen dieser Tage viele türkischstämmige Kinder. Ist ihnen damit gedient, die jüdischen Wurzeln des Vereins zu erforschen? Unbedingt, sagt der zweite Vereinsvorsitzende: »Diskriminierungserfahrungen sind etwas, was sowohl Menschen jüdischer Religion teilen in Deutschland als auch muslimische Menschen. Wo ist die logischere Brücke, als wenn wir über unsere Geschichte gehen und unseren Kinder mit dieser Geschichte aufzeigen, wo ihre Gemeinsamkeiten vielleicht auch liegen.«

Ein weiteres Beispiel jüdischer Wurzeln in der Vereinsgeschichte findet sich an der Adresse Am Großen Wannsee 46a. Hier residiert der Ruderverein Welle-Poseidon. Neben der Vereins- und der ukrainischen weht für alle weit sichtbar auch die israelische Flagge am Mast. Und das aus einem guten Grund, sagt Vorstandsvorsitzender Detlef Heinrich: »Wir waren Ende der 1920er Jahre einer von sechs Rudervereinen, die mindestens hälftig jüdische Mitglieder hatten.«

Welle-Poseidon, 1894 gegründet, war von Anfang an offen für Mitglieder »ohne Rücksicht auf Politik oder Konfession«, heißt es in den Vereinsanalen. Und so hält es der Verein immer noch. »Wir haben es nie und fragen es immer noch nicht ab, wer welche Konfession hat. Ich weiß als Vorsitzender von einigen, die jüdischen Glaubens sind. Wir haben auch eine Kantorin von der liberalen Gemeinde bei uns und wir feiern auch mit der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit das Sommerfest. Aber wir tragen das nicht nach außen«, erklärt Detlef Heinrich.

Der Verein verschweigt aber auch nichts. In der Vereinschronik ist dokumentiert, wie zu Beginn der Nazizeit Juden aus den Sportvereinen herausgedrängt wurden. Noch bevor der »Arierparagraf« überhaupt Gesetz wurde, »glänzten« die »arischen« Sportler mit vorauseilendem Gehorsam. »Und bei uns ist 1933 die Entscheidung getroffen worden, dass alle nichtjüdischen Mitglieder austreten, damit die jüdischen Mitglieder weiterrudern konnten. Und als Konsequenz daraus musste sich der Verein ›Jüdischer Ruderclub Welle-Poseidon‹ nennen«, weiß der derzeitige Vereinsvorsitzende.

Das Bootshaus in Grünau musste der Verein aufgeben und Hals über Kopf in eine Bruchbude gegenüber in Plänterwald umziehen. Jede Ausfahrt bedurfte der behördlichen Genehmigung. Die nun nach Nazi-Definition »arischen« Mitglieder hielten Kontakt, bis die Gestapo auch dies untersagte. »Wir hatten den nichtjüdischen Trainer, der weiter die Jugend trainiert hat, bis es ihm nach Gestapo-Verhör verboten worden ist. Wir hatten ganz viele, die auch Juden versteckt haben hier in Berlin oder die Ausreise mitorganisiert haben. Die Freundschaft war da und ist bis zum Tod eigentlich geblieben«, sagt Heinrich.

»Die Freundschaft war da und ist bis zum Tod eigentlich geblieben.«

Dieter Heinrich Welle-Poseidon e.V.

Denn die Ruderkameraden, egal ob jüdisch oder nichtjüdisch, hielten zusammen und halfen sich gegenseitig. Detlef Heinrich weiter: »Alle, die konnten, sind emigriert. Es gab verschiedenste Welle-Po-Gruppen auf der ganzen Welt, die sich geholfen haben beim Ankommen, auch beim Rauskommen. Diese Freundschaften waren halt da.«

1940 erfolgte dann die Zwangsauflösung des Vereins. Nicht alle konnten fliehen. 63 Klubkameraden und -kameradinnen fielen dem NS-Regime laut Vereinschronik zum Opfer. Nach dem Krieg aber vergaßen die emigrierten Mitglieder die Welle-Poseidon nicht. Im Gegenteil. 1947 gab es einen Aufruf zur Wiedergründung. Da kamen schon erste Care-Pakete von ehemaligen Vereinsmitgliedern aus dem Ausland.

In den Jahrzehnten nach dem Krieg gab es zahlreiche Besuche ehemaliger Vereinsmitglieder. Diese Verbundenheit gibt es bis heute. Vorstandsvorsitzender Heinrich erinnert sich, wie sich ein Enkel meldete: »Der schrieb, dass sein Großvater und der Großvater seiner Frau sich bei Welle-Poseidon kennengelernt haben und dann gemeinsam nach Amerika emigriert sind.« Bei einem späteren Berlin-Besuch sei die Frau als Fördermitglied eingetreten. Mit der Begründung: »Na ja, wenn mein Großvater nicht emigriert wäre, wäre ich eh hiergeblieben und wäre natürlich ruderndes Mitglied geworden. Insofern gehört es sich doch einfach, dass ich die Familientradition weiterführe und eintrete.« Rudern verbinde über Generationen hinweg. Für den Vereinsvorsitzenden Heinrich ist es das Beste, was es gibt, für Juden wie Nichtjuden: »Gemeinsam in einem Boot sitzen, aushalten, dass manchmal da Leute sitzen, die einem nicht gefallen. Aber das muss man aushalten. So geht auch Demokratie. Es geht nur miteinander.«

Über die Geschichte des Rudervereins Welle-Poseidon gibt es auch ein Theaterstück des jüdischen Kultur- und Theaterschiffes MS Goldberg. Zu sehen und zu hören ist es das nächste Mal am 14. November, 18.30 Uhr, in der Liebermannvilla am Großen Wannsee, unweit des Vereinsgeländes.

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