Migrantinnen und geflüchtete Frauen vernetzen sich

Die Konferenz »Als ich nach Deutschland kam« will die Kampferfahrungen verschiedener zugewanderter Frauengenerationen zusammenbringen

  • Sebastian Bähr
  • Lesedauer: 4 Min.

Am Wochenende organisiert der International Women’s Space (IWS) eine Konferenz für ehemalige Gastarbeiterinnen, Vertragsarbeiterinnen, Migrantinnen und geflüchtete Frauen. Was haben all diese Gruppen gemeinsam?
Eine wesentliche Gemeinsamkeit dieser Frauen ist ihre Konfrontation mit der Frage nach Rechten und Partizipation. Das zweite verbindende Merkmal ist die Erfahrung von Rassismus. Egal, ob man als Migrantin in den 1960er-Jahren gekommen ist, aktuell legal oder illegal Deutschland erreicht hat oder hier geboren ist und einen anderen Namen beziehungsweise eine andere Hautfarbe als die Mehrheit besitzt - man wird als »anders« und »nicht deutsch« markiert.

Welche Hürden stehen einer Vernetzung dieser Frauen im Weg?
Gerade geflüchtete Frauen sind aus bestimmten gesellschaftlichen Räumen ausgeschlossen, haben wenig Rechte oder sind einfach mit viel grundsätzlicheren Überlebensfragen konfrontiert. Dazu bildet noch die Sprache eine große Barriere. Es ist ein Erfolg, dass wir unsere Konferenz auf Türkisch, Vietnamesisch, Arabisch, Farsi, Englisch und Deutsch abhalten können.

Wer sind die Referentinnen?
Ein paar Beispiele: Mai-Phuong Kollath wird über die Situation von ehemaligen Vertragsarbeiterinnen in der DDR sprechen. Die im vietnamesischen Hanoi geborene Aktivistin musste sich gegen viele Widerstände durchsetzen, um überhaupt in Deutschland bleiben zu können. Doris Messa vom IWS wird berichten, wie sie es zweimal erfolgreich geschafft hat, ihre eigene Abschiebung zu verhindern. Bafta Sarbo, in Deutschland als Tochter von geflüchteten Oromo geboren und Vorstandmitglied der Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland, macht eine Veranstaltung zu rassistischen Gewalttaten der 1990er Jahre bis heute.

Welche gesellschaftliche Rolle hatten die damaligen Gastarbeiterinnen in Westdeutschland und die Vertragsarbeiterinnen in Ostdeutschland?
Zuerst einmal muss man darauf hinweisen, dass es im deutschen Geschichtsbild immer noch den Mythos gibt, dass allein Männer als Gastarbeiter nach Westdeutschland gekommen sind und diese ihre Frauen später über einen Familiennachzug geholt haben. Man sollte klarstellen, dass auch viele Frauen angeworben worden sind. Sowohl in Westdeutschland wie auch in Ostdeutschland setzte man die Migrantinnen dann in der Industrie, aber auch etwa in Pflegeberufen ein. Es gab dabei ebenso spezifische Probleme, etwa eine strikte Geschlechtertrennung von Vertragsarbeitern in der DDR.

Wie setzten sich Migrantinnen gegen schlechte Zustände zur Wehr?
In Westdeutschland gab es beispielsweise eine massive Beteiligung von migrantischen Frauen an wilden Streiks, vor allem in den 1970er Jahren. Einer der größten Streiks bei dem Autozulieferer Pierburg bei Neuss wurde fast ausschließlich von Migrantinnen getragen, die für einen höheren Stundenlohn, mehr Urlaub und vor allem bessere Wohnbedingungen gekämpft haben.

Was sind für geflüchtete Frauen derzeit die drängendsten Probleme?
Ein Hauptproblem ist das Fehlen von geschützten Unterbringungsmöglichkeiten, die nur weiblichen Geflüchteten offen stehen. Viele Frauen sind schließlich gerade vor sexueller Unterdrückung oder einer Zwangsehe geflohen. In gemischten Unterkünften sind sie extrem verwundbar.

Wo zeigt sich von geflüchteten Frauen Widerstand?
Es gibt verschiedene Selbstorganisationen von migrantischen Frauen, die sich aus der Flüchtlingsbewegung herausgebildet haben. Auch diese ist schließlich nicht frei von patriarchalischen Strukturen, auch hier gibt es die Notwendigkeit, eigene Räume zu schaffen, wo Frauen sich artikulieren können. Ein Beispiel ist die besetzte Gerhart-Hauptmann-Schule in Berlin, wo die Frauen vom IWS eine eigene Etage für sich eingefordert hatten.

Wie kann ein Wissenstransfer zwischen den Generationen gelingen?
Es gilt voneinander zu lernen, wie man sich gegen Unterdrückungssysteme durchsetzen kann. Der Kampf für eine gute Schulbildung der Kinder ist beispielsweise ein Thema, das alle migrantischen Generationen durchlebt haben. Bereits den damaligen Gastarbeiterinnen hatte man gesagt, dass ihre Kinder zu einem ›Integrationsproblem‹ werden. Die Schulen könnten nicht bereitstellen, was die Eltern fordern. In dieser Situation haben Mütter Elternvereine gegründet und dafür gekämpft, dass ihre Kinder bessere Schulbedingungen und muttersprachlichen Unterricht erhalten. Geflüchtete Frauen stellen sich heute die gleiche Frage: Wie können sie verhindern, dass ihre Kinder schlecht ausgebildet werden und damit verdammt sind, die nächste Generation von Hauptschülern zu stellen?

Wie kann langfristig die Organisierung von migrantischen und geflüchteten Frauen gestärkt werden?
Es ist im Kleinen und im Großen wichtig, dass man auch nach gemeinsamen Treffen wie bei unserer Konferenz politisch weitermacht und sich organisiert. Das kann in verschiedenen sozialen Formaten geschehen, beispielsweise in Wohnheimen oder bei Stadtteilmüttern. Kernpunkt ist gegenseitiger Austausch und Solidarität.

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