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Abgeordnete attackieren Müller
Papier von Dennis Buchner und Sven Kohlmeier zeigt, wie stark es in der SPD rumort
In den Reihen der Berliner SPD rumort es kräftig. Seitdem die Partei bei der vergangenen Bundestagswahl in Berlin mit lediglich 17,9 Prozent auf Platz drei hinter CDU und LINKEN abgeschnitten hatte, ist die innerparteiliche Debatte über den Kurs erneut entbrannt. Das jüngste Papier zur Lage veröffentlichten jetzt die SPD-Abgeordneten Dennis Buchner und Sven Kohlmeier. »Nicht mehr auf der Höhe der Zeit« lautet der Titel der elfseitigen Schrift, die vor allen in den sozialen Netzwerken heiß diskutiert wird. »Wir wollen mit diesem Papier und unseren Überlegungen eine ehrliche Debatte über den Zustand und die Zukunft unserer Partei anstoßen«, schreiben die beiden Abgeordneten.
Doch statt um Amtszeitbegrenzungen und die Gegenwartstauglichkeit von Parteistrukturen in Kneipenhinterzimmern, die in dem Papier ebenfalls eine Rolle spielen, sorgt jetzt vor allem der Frontalangriff der Verfasser auf den Regierenden Bürgermeister und SPD-Landesvorsitzenden Michael Müller (SPD) für Aufsehen: »Jede und jeder verdient eine zweite Chance. Aber nicht die dritte und vierte – und erst recht dann nicht, wenn zu viele eigene Fehler gemacht werden«, schreiben Buchner und Kohlmeier. Gemeint ist die Niederlage Müllers seinerzeit als Stadtentwicklungssenator beim Volksentscheid Tempelhof sowie die schlechten Ergebnisse als Regierender Bürgermeister und Landesvorsitzender bei der Abgeordnetenhauswahl 2016 und der vergangenen Bundestagswahl, bei der auch die Niederlage beim Volksentscheid zur Offenhaltung des Flughafens Tegel eingefahren wurde.
Besonders regt die beiden Abgeordneten die Reaktion Müllers auf diese Ereignisse auf: nämlich dass nach jeder dieser Rückschritte Michael Müller einen weiteren Posten anstrebte. Etwa den des Landesvorsitz, den er 2016 Jan Stöß wieder abnahm, oder den Platz der Berliner SPD im SPD-Bundesvorstand.
Ganz recht ist die Zuspitzung auf den Regierenden Bürgermeister und Landesvorsitzenden den Verfassern des Textes auch nicht. »Es geht uns nicht um Michael Müller. Aber man muss schon überlegen, ob man sich nach Niederlagen einkapselt und neue Funktionen übernimmt oder eine offene Fehleranalyse führt«, sagt Sven Kohlmeier dem »nd«. Zu Letzterem wolle man mit dem Papier einen Beitrag leisten.
Dass sowohl Kohlmeier (Marzahn-Hellersdorf) als auch Buchner (Pankow) parteipolitisch im Ostteil verortet sind, ist sicher kein Zufall. Für die SPD in den östlichen Bezirken geht es – anders als im Westen – inzwischen um die Existenz. Aufgerieben zwischen Linkspartei und AfD rangierten die Sozialdemokraten etwa in Marzahn-Hellersdorf noch hinter den genannten Parteien und der CDU auf Platz vier. Die Idee, deshalb strategische Partnerschaften und Wahlabsprachen mit der LINKEN zu treffen, wie sie nach der Bundestagswahl von Landesvize Mark Rackles in die Diskussion eingebracht wurde, stößt den beiden Abgeordneten besonders unangenehm auf: »Solche Absprachen sind nach unserer Auffassung abzulehnen, denn die SPD gibt sich damit als Volkspartei auf«, steht an einer Stelle des Papiers.
Wie häufig in der Politik dürfte die Frontalattacke auf den SPD-Spitzenmann Michael Müller darüber hinaus auch persönliche Motive haben. Dennis Buchner etwa war bis kurz nach der Abgeordnetenhauswahl Landesgeschäftsführer der Berliner Sozialdemokraten. Er galt als guter Wahlkampfmanager, ohne den, wie einige in der SPD hinter vorgehaltener Hand sagen, das schlechte Ergebnis noch wesentlich schlechter ausgefallen wäre. Trotz seines Einsatzes wurde sein Vertrag allerdings nicht verlängert und der Posten anschließend mit einer Müller-Vertrauten aus Tempelhof besetzt. Das nun veröffentlichte Papier hat deshalb auch den leichten Beigeschmack einer Retourkutsche. Sven Kohlmeier dagegen hatte bereits nach der Abgeordnetenhauswahl eine Debatte eingefordert. Damals mutmaßten einige Beobachter, Kohlmeier sei vom mächtigen SPD-Fraktionschef und Strippenzieher Raed Saleh – dem verbliebenen innerparteilichen Konkurrenten von Müller – vorgeschickt worden.
Wie auch immer die Motive sein mögen, die Frage ist, ob dem Regierenden Bürgermeister und SPD-Landeschef jetzt ein richtiger Aufstand droht. Wenn man die Reaktion des potenziellen Nachfolgers Saleh hört, sieht es nicht danach aus. »Viele machen sich Gedanken über den Zustand und die Zukunft unserer Partei, das wundert mich nicht«, erklärt Saleh dem »nd«. Zwar kritisiert auch er: »Die SPD muss wieder Berlin verstehen.« Aber das werde man zu diskutieren haben, auch in den Parteigremien. Ein offener Putsch sähe sicher anders aus, er würde auch anders eingeleitet werden. So bleibt es beim Rumoren, freilich lauter als je zuvor.
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