Harter Kampf um Thron in Kiew

Ukraine: Konflikt zwischen Präsident Petro Poroschenko und Innenminister Arsen Awakow spitzt sich zu

  • Denis Trubetskoy, Kiew
  • Lesedauer: 3 Min.

Am 31. Oktober erlebte die Ukraine plötzlich wieder ein politisches Erdbeben. Am frühen Morgen begann das Nationale Antikorruptionsbüro (NABU) mit einer Durchsuchung der Wohnung von Olexander Awakow, Sohn des ukrainischen Innenministers. Kurz nach Mittag wurde er von NABU wegen vermeintlicher Korruption festgenommen. Das gleiche passierte in Charkiw Serhij Tchobotar, dem Ex-Stellvertreter Awakows, sowie dem Unternehmer Wolodymyr Lytwyn. »Diese Festnahmen sind ein Teil des hybriden Krieges, der gegen unser Ministerium geführt wird«, hieß es wenig später auf der Webseite des Innenministeriums.

Die Vorwürfe, die zu den Festnahmen führten, sind nicht neu - sie tauchten bereits 2015 in der Öffentlichkeit auf. Damals gab das Innenministerium die Herstellung von 6000 Rucksäcken für die Nationalgarde an zwei Firmen in Auftrag, eine davon existierte allerdings nur auf dem Papier und wurde aller Voraussicht nach für Geldwäsche genutzt. Dabei ging es um eine Summe von umgerechnet 500 000 Euro. Auf die Beteiligung von Olexander Awakow und Serhij Tchobotar weist ein Video aus dem Büro des Letzteren, in dem die Sache detailliert besprochen wurde. Wolodymyr Lytwyn ist wiederum die Kontaktperson der vermeintlichen Firma Dniprowend.

Eigentlich laufen die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft bereits seit Sommer 2015, konkrete Bewegungen gab es jedoch bis Ende Oktober 2017 nicht. Im politischen Kiew wurde vermutet, der Prozess werde von ganz oben gesteuert. Umso überraschender ist, dass nun Festnahmen folgten. Zwar wurden Olexander Awakow, Tschobotar und Lytwyn am 1. November vorerst wieder freigelassen, sie mussten allerdings ihre Reisepässe abgeben und dürfen ihre Städte nur mit Zustimmung der Behörden verlassen. »Ich zweifele nicht daran, dass mein Sohn seine Unschuld vor Gericht beweisen wird«, sagt Innenminister Awakow.

Doch ob es in diesem Fall eine unabhängige Entscheidung der ukrainischen Justiz geben wird, ist fraglich. Denn alles spricht dafür, dass die Festnahmen vor allem ein weiteres Kapitel im Konflikt zwischen Awakow und dem ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko ist. Als Innenminister kontrolliert Awakow, der die Partei Volksfront vertritt, die Polizei und die Nationalgarde - und ist damit nach Poroschenko der zweitmächtigste Mann des Landes. Längst ist von Meinungsverschiedenheiten zwischen den beiden die Rede.

Bei der Parlamentswahl im Herbst 2014 hoffte Poroschenko auf die absolute Mehrheit seines Wahlblocks, unterlag jedoch knapp der Volksfront - nur ein gutes Abschneiden der Direktkandidaten machte den Block Poroschenko zur stärksten Kraft. Deswegen musste Poroschenko wichtige Posten wie eben das Innenministerium an die Volksfront abgeben. Eine Weile waren die Spannungen nicht bemerkbar, in diesem Jahr kracht es aber richtig.

Die erste große Eskalation folgte Ende Juli, als die Behörden Awakows umstrittenen Stellvertreter Wadym Trojan mit einer großen Schmiergeldsumme zu Hause erwischt haben sollen. Und nun eskaliert der Konflikt erneut. »Die neuen Spannungen haben wohl damit zu tun, dass Awakow zwar großer Befürworter der Ausbürgerung des georgischen Ex-Präsidenten Michail Saakschwili war, sich bei seiner Rückkehr in die Ukraine und während der letzten Proteste in Kiew aber zurückhielt«, meint der Politologe Andrij Opanasenko. »Das hat Poroschenko nicht gefallen. Er hat eine andere Reaktion erwartet und vermutet, Awakow spiele wieder gegen ihn.«

So oder so - diese Auseinandersetzung könnte die ukrainische Politik vor den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen 2019 prägen. Am Dienstag fand eine Vertrauensabstimmung im Parlament in Sachen Awakow statt, nur 31 Abgeordnete stimmten für seine Absetzung - ein Erfolg für Awakow. Für den 11. November hat dessen Partei, die Volksfront, überraschend einen Parteitag angekündigt, bei dem dem Innenminister wohl die volle Unterstützung ausgesprochen werden soll. In Insiderkreisen ist zudem die Rede von »großen Entscheidungen«, die dort fallen könnten.

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