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Notwendige Anleihen aus dem »Helden-Jenseits«?

Letzter Workshop über das Herkommen der Bundeswehr - nun muss der neue Traditionserlass formuliert werden

  • René Heilig
  • Lesedauer: 3 Min.

Traditionen sind nun einmal »Teil des Fundaments soldatischen Handelns«, das den »Wesenskern von Streitkräften« ausmacht. Sagt die Bundeswehr. Und: Traditionen ermöglichten die Bewahrung, Pflege und Weitergabe »überlieferungswürdiger Werte« und »soldatischer Vorbilder«. Es sei höchste Zeit für eine »neue geistige Brücke« zwischen Vergangenheit und Zukunft.

Auf dass man nicht vom rechten Wege abkommt und ganz rechts außen landet? Aus gegebenen Anlässen hat Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) im Sommer die Überarbeitung des Traditionserlasses von 1982 angeordnet.

Insgesamt vier thematisch breit angelegte Workshops hat das Verteidigungsministerium organisiert, um einen »transparenten und inklusiven Prozess mit breiter Einbindung der Soldatinnen und Soldaten sowie zivilen Mitarbeitern« zu ermöglichen. Am Freitag fand in Berlin die vierte Debattenrunde statt. Man wollte ergründen, ob die Truppe seit ihrer Gründung 1955 nicht genug eigenes Erbe entwickelt hat, das bewahrenswert ist. Wiederbewaffnung, Friede als Ernstfall, Armee der Einheit, Auslandseinsätze wären Stichworte.

Lernwillig hatte man Bundespolizisten eingeladen - um erstaunt zu vernehmen: »Wenn Sie wissen wollen, wie es auch ohne Traditionen geht, fragen Sie die Polizei.« Polizeidirektor Mathias Schaef versicherte, im Leitbild der Bundespolizei finde sich nicht einmal das Wort Tradition. Seine Kollegen leiteten ihre Identifikation mit der Truppe aus Einsatzerfolgen ab. Moderne Ausrüstung, gute Bezahlung stärkten zudem das »Familiengefühl«. »Nur der frische Lorbeer ziert!« Über die »Schlacht bei Wackersdorf« reden die Alten höchstens nach dem zweiten Feierabendbier.

Den Befund bestätigte auch Jerome Fuchs, Chef der Eliteeinheit GSG 9. Er machte zugleich auf »die Risiken traditioneller Gepflogenheiten« aufmerksam. Kurzum, bei aller Ähnlichkeit zwischen dem Soldaten und dem Polizistenberuf half der Blick über den militärischen Tellerrand nicht weiter.

Wie man dagegen Erbe, aus dem Traditionen reifen können, dreist ignorieren kann, zeigte Bodo Hechelhammer. Er ist Chefhistoriker des Bundesnachrichtendienstes und erklärte kurzerhand die Organisation Gehlen - also den Ursprung des BND, in der es von alten Nazis aus SS, SD, Gestapo und Wehrmacht-Spionage nur so wimmelte - zu einer »rein amerikanischen Operation«. Hechelhammer wurde gefragt, ob denn beim BND auch so ein Bildersturm denkbar wäre, wie ihn von der Leyen jüngst in der Bundeswehr ausgelöst hat, nachdem in den Traditions- und Soldatenstuben allzu viele Wehrmachtsdevotionalien gefunden wurden. Der BND-Mann verneinte: Selbstverständlich bleiben die Porträts des Hitler-Generals Reinhard Gehlen hängen, wo sie hängen. Ähnlich sah das ein Mann vom Bundeskriminalamt, das seinen Architekten Paul Dickopf trotz dubioser Naziverstrickungen weiter in der Ahnengalerie hält.

Als in weiteren Debattenrunden Bundeswehr-Generale mit dem Zusatz a.D. ihre Lebenserfahrungen zum Besten gaben, dämmerte es manchen Zuhörern: Sollte man sich nicht erst einmal darüber einigen, welche Werte man der Truppe vermitteln will? Man sollte der Ethik und der Moral nicht wieder so viel Gewicht beimessen, sondern lieber das »Handwerk« betonen, sagte General a.D. Werner von Scheven. Der Panzer-Preuße hat die Reste der NVA in die Bundeswehr »integriert«. Die pflegte ja nur »Sowjettraditionen«, davon sei nichts zu übernehmen. Andere Altgediente kritisierten, die Traditionsdebatte als zu »akademisch« und hätten es gern »volkstümlicher«. Bevor sich dann alles in Erinnerungen an ausgefallene Siege verlief, fragte ein junger Kapitänleutnant, für wen man denn eigentlich Vorbilder suche. Für die jungen Soldaten in der Truppe? Kaum. Die suchen sich ihre Vorbilder, so sie welche brauchen, nicht im Helden-Jenseits, sondern in der Realität.

Dass die Debatte in Berlin letztlich wirkte wie ein Stück »Tradition der ewigen Traditionsdebatte«, hat auch damit zu tun, dass »die Politik« die Bundeswehr damit alleine lässt. Nicht ein Bundestagsabgeordneter war am Freitag dabei, als über Herkunft und Vorbilder der Bundeswehr und damit letztlich über die geistig-moralischen Grundlagen der Parlamentsarmee von morgen gestritten wurde.

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