Löw will Leistung sehen

Vom Remis gegen England war Bundestrainer nicht begeistert und fordert gegen Frankreich eine Steigerung

  • Frank Hellmann, London
  • Lesedauer: 4 Min.

Es kann in London wahrlich nicht schaden, einen kundigen Reiseführer dabei zu haben. Erst recht, wenn man sich an solch einer unübersichtlichen Straßenkreuzung einquartiert hatte, wie die deutsche Nationalmannschaft in ihrem dreieckigen Hotelkomplex in Covent Garden. Zur besseren Orientierung in dem belebten Areal unweit der Waterloo Bridge war daher Per Mertesacker zur deutschen Delegation gestoßen, der auch über seine aktive Karriere hinaus beim FC Arsenal angestellt bleiben wird. Der 33-jährige Wahl-Londoner hat dann gerne geholfen, beim verlängerten Aufenthalt an der Themse ein bisschen Zerstreuung zu finden.

Das Sightseeingprogramm hat den deutschen Fußballern nach der Nullnummer im Klassiker gegen England am Freitagabend und vor dem Jahreskehraus gegen Frankreich am Dienstag in Köln gut gefallen, obwohl nicht jeder sofort mit der Zugangskontrolle zur Underground klarkam. An der Schnellboot-Haltestelle am Westminster-Pier angekommen, entstanden alsbald nette Bilder von in regenfesten Jacken verpackten Kickern, die über den breiten Fluss jagten. Später stiegen Trainer und Betreuer auch noch in die verglasten Kapseln des London Eye, dem größten Riesenrad der Welt. »Ich war schon hundert Mal hier und habe noch nichts gesehen«, verriet Mats Hummels, der als souveräner Abwehrchef zuvor dafür gesorgt hatte, dass die Dienstreise auch sportlich in halbwegs geordneten Bahnen ablief. Und die DFB-Auswahl auch im 20. Länderspiel hintereinander ungeschlagen blieb.

Doch stellt sich immer mehr die Frage, inwieweit solche Freundschaftsspiele wirklich zum Lackmustest taugen. Noch bevor am Sonntagmorgen der Charterflug nach Köln ging, hatte Bundestrainer Joachim Löw seine Erwartungen für das letzte Länderspiel des Jahres gegen die Franzosen formuliert: »Es ist für mich wichtig zu sehen, auf welchem Level sich die Spieler befinden und wie sie gegen solche Gegner bestehen.« Es kommt am Rhein ja immerhin zur Neuauflage des irgendwie unnötig verlorenen Halbfinals bei der EM 2016, und doch steht für Löw das Testen erneut »über dem Ergebnis«.

Derlei Maßgabe, die den Bundestrainer mit den Kollegen Gareth Southgate aus England oder dem Franzosen Didier Deschamps verbindet, ist jedoch stets mit dem Risiko behaftet, dass die vielen personellen Kompromisse die schönen Masterpläne über den Haufen werfen. Die deutsche Kundschaft wird daher bei Freundschaftsspielen immer kritischer: Obwohl die flinken französische Nationalspieler zum vielversprechendsten zählen, was ein Nationalteam in Europa zu bieten hat, sind für das Länderspiel in Köln erst 30 000 Karten verkauft.

In London waren letztlich 81 382 Zuschauer zum Auftritt des Weltmeisters ins Wembleystadion gepilgert. Der Bundestrainer räumte im kinoähnlichen Pressesaal ein, dass auch ihn der Klassiker in der Kathedrale des Fußballs »nicht vom Hocker« gerissen habe. Und: »Die Zuschauer hätten gerne Tore, einen offenen Schlagabtausch gesehen - das war es nicht.« Der 57-Jährige selbst erinnerte an Prestigeduelle »mit einer ganz anderen Emotion, mit strittigen Entscheidungen, knappen Ergebnissen«. Diesmal war es ein eher »nüchternes Spiel«.

Und weil so der Spannungsbogen von recht ansprechend in ziemlich fad überging, vertrieben sich die Menschen auf den roten Schalensitzen wie schon in Englands Länderspielen zuvor die Langeweile damit, Papierflieger Richtung Innenraum zu werfen. Schaffte es einer bis auf den heiligen Rasen, brandete Beifall auf. Der ausgewechselte Timo Werner, der in der ansprechenden ersten Halbzeit in einer Art Privatduell zwei Mal am herausragenden Torwarttalent Jordan Pickford gescheitert war, wunderte sich mächtig über die skurrile Begleiterscheinung. »Ich wusste erst gar nicht warum. Bis ein Flieger knapp über meinen Kopf ging und alle gejubelt haben.«

Der Leipziger Stürmer sagte übrigens auch, er würde gerne auch gegen die Franzosen auflaufen. »Ich habe jetzt genug pausiert.« Mal sehen, ob Löw diese Steilvorlage annimmt. Tunlichst ist der Badener im »schwierigsten Monat« (Manager Oliver Bierhoff) darauf bedacht, die Belastung einigermaßen gerecht zu verteilen. Toni Kroos und Sami Khedira dürften morgen die Doppelsechs im defensiven Mittelfeld bilden. Wenn auch der Versuch mit Ilkay Gündogan und dem zurückhängenden Mesut Özil nicht völlig misslang, stellt er in einem WM-Spiel eher keine Option dar. Für den Bundestrainer bleibt elementar, »dass wir am Ende der Saison eine Höchstleistung herauskitzeln«. Sprich: bei der WM 2018 in Russland. Unter dieser Prämisse wird verständlich, dass deutsche Nationalspieler am Wochenende mal das getan haben, was die Millionen Touristen tun: ins besondere London-Flair eintauchen.

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