Saakaschwili vorerst freigelassen

Entscheidung von Kiewer Gericht wird zur Blamage für Präsident Petro Poroschenko

  • Denis Trubetskoy, Kiew
  • Lesedauer: 3 Min.

Am späten Freitagabend gelang dem ukrainischen Inlandsgeheimdienst, womit die SBU am letzten Dienstag noch fulminant gescheitert war: Der georgische Ex-Präsident und Ex-Gouverneur der südukrainischen Region Odessa Michail Saakaschwili wurde in der Wohnung seines Bekannten festgenommen.

Am Montag sollte schließlich das Kiewer Bezirksgericht Petschersk über das vorübergehende Strafmaß für den 49-Jährigen entscheiden. Kurz vorher, am Sonntag, erlebte die ukrainische Hauptstadt ihre größte Protestdemonstration seit der Maidan-Revolution 2014. Trotz des miesen Wetters und schweren Schneeregens zogen mehr als 10 000 Menschen zum Unabhängigkeitsplatz, um gegen die Festnahme Saakaschwilis zu protestieren.

Und wieder herrschte eine aggressive Stimmung: Nach der langen Kundgebung auf dem Maidan ging die Anhängerkolonne des Ex-Georgiers zum SBU-Gebäude. »Falls Michail morgen nicht freigelassen wird, erledigen wir es selbst«, war dort zu hören. Eine direkte Auseinandersetzung zwischen Demonstranten und Sicherheitsbehörden konnte gerade noch vermieden werden.

Tatsächlich haben Saakaschwili-Anhänger am Montag das Gericht, ganz zentral in der Prachtstraße Chreschtschatyk liegend, quasi umzingelt. Wie erwartet bat die Generalstaatsanwaltschaft um einen ganztätigen Hausarrest für Saakaschwili, der sich gewohnt emotional verteidigte: »Dass die Anklage lächerlich ist, weiß jeder hier. Sie werfen mir Zusammenarbeit mit Russland vor. Saakschwili im ukrainischen Gefängnis ist aber der größte Traum Wladimir Putins.« Wirklich überzeugend sah die Anklage in der Tat nicht aus - das war wohl auch der Grund, warum die Generalstaatsanwaltschaft nicht durch den Chef Jurij Luzenko, sondern durch einen jungen Staatsanwalt repräsentiert wurde. Zudem erhielt Saakaschwili Unterstützung zahlreicher Spitzenpolitiker wie Julia Timoschenko.

Dennoch kam die Entscheidung des Gerichts überraschend: Die Richterin Larissa Zokol ließ den Ex-Georgier vorerst komplett frei, obwohl der 49-Jährige sich letzte Woche zwischen Dienstag und Freitag offiziell auf der Flucht befunden hatte. Die Generalstaatsanwaltschaft kündigte zwar an, unbedingt in Revision gehen zu wollen, kommentierte den Entschluss aber ausdrücklich nicht.

Saakaschwili gab sich seinerseits als großer Sieger aus. »Ich fand mich bekanntlich seit der Festnahme am Freitagabend im Hungerstreik. Daher habe ich es als Erstes vor, etwas zu essen«, sagte er vor gesammelten Journalisten. »Im Ernst: Nein, ich habe keine Präsidentschaftsambitionen. Aber die Ukrainer verdienen deutlich Besseres als die heutigen Machthaber. Und ich will ihnen dabei helfen, es endlich zu bekommen.«

Der Kampf geht weiter - das war die wichtigste Botschaft der Saakaschwili-Rede. Seine Partei, die Bewegung neuer Kräfte, und er wollen demnächst die Protestaktionen ausweiten. Jeden Sonntag soll nun eine große Demonstration im Zentrum Kiews, aber auch in den Regionen stattfinden - eine der zentralen Forderungen ist die Amtsenthebung des Präsidenten Petro Poroschenko. Ob die Präsidialverwaltung in der Bankowa-Straße nun einfach zuschauen wird, hängt unter anderem davon ab, welche Bewertung der spektakulären Gerichtsentscheidung am Montag der Realität entspricht.

Sollte das Bezirksgericht Petschersk tatsächlich eine unabhängige Entscheidung aufgrund mangelnder Beweise getroffen haben, spricht das für Veränderungen im ukrainischen Justizsystem - und bedeutet, die Entscheidung zum vorübergehenden Strafmaß würde nun ernsthaft in die Revision gehen.

Gut möglich scheint allerdings auch, dass Poroschenko die Lage einfach deeskalieren lässt. Mit einer äußert fragwürdigen Anklage sowie den größten Protesten seit 2014 ist die vorübergehende Freilassung Saakaschwilis wohl die mit Abstand klügste Entscheidung, auch wenn sie trotzdem einen gewissen Imageschaden bedeutet. Der Fall Saakaschwili bleibt für Poroschenko jedoch eine klare Blamage - egal, wie dieser letztlich ausgehen wird.

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