Politiker erzählen, wann sie bei Sexismus einschreiten - oder nicht

Unter dem Hashtag #ungleichland sprechen Bundestagsabgeordnete über Sexismus

  • Maria Jordan
  • Lesedauer: 3 Min.

Zum Thema Sexismus kommen jetzt noch einmal Männer zu Wort. Nicht nur irgendwelche Männer, sondern Abgeordnete des Bundestags. Das neue WDR-Format »Docupy«, dass sich dem Thema »Ungleichland – Reichtum, Chancen, Macht« widmet, hat einen Videoclip zusammengestellt, in dem Parlamentarier aus allen Parteien gefragt werden: Wann haben Sie zuletzt einen Mann auf sein sexistisches Verhalten angesprochen? Das Fazit vorweg: Die Volksvertreter schneiden nicht gut ab.

Zuvor hatte Docupy schon bei den Politikerinnen im Bundestag nachgefragt, ob ihr Geschlecht in ihrem Beruf eine Rolle spiele. Dass Frauen in der Politik vor allem in die Bereiche Soziales, Kultur und Bildung abgeschoben werden, weil sie sich als Frauen und Mütter quasi natürlich für diese Themen interessierten, ist tatsächlich noch das geringste Übel. Ulla Schmidt (SPD) beispielsweise sagte man(n): »So hässlich bist du doch gar nicht, dass du in die Politik gehen musstest.« Elisabeth Motschmann (CDU) wurde erklärt, dass sich die Unterdrückung der Frau immer bewährt habe. Die Grünen-Politikerin Margit Stump musste sich nicht nur anhören, dass sie »bemerkenswert kompetent« sei. Man befand auch, dass sie »den schönsten Arsch im Gremium« habe. Und auch wenn Katja Kipping (LINKE) zwar gerne Komplimente hört oder »modepolitischen Smalltalk« hält, findet sie Bemerkungen über ihre Ohrringe, während sie versucht zu argumentieren, zumindest schlecht getimed. Beatrix von Storch ist, wie zu erwarten, vollauf zufrieden. »Frauen können bei uns alles werden. Sogar Bundeskanzlerin. Das ist alles möglich und das ist alles gut.«

Die Antwort der stellvertretenden AfD-Bundesvorsitzenden müsste zumindest Thomas Kemmerich von der FDP gefallen. Im neusten Docupy-Video behauptet dieser nämlich, noch nie bei sexistischem Verhalten von Kollegen eingegriffen zu haben, weil er es schlicht noch nicht erlebt habe. Denselben Impuls hat zunächst auch Andreas Wagner von der Linkspartei. Noch einmal nachgehakt, zögert er und besinnt sich schließlich: »Kann durchaus sein, dass ich so was schon mitbekommen habe, aber ich hab´s nicht angesprochen.« Der Grünen-Politker Sven Lehmann schildert eine Situation, in der er einen Mitstreiter auf die Kompetenz einer Kollegin hinweist, anstatt auf ihr Aussehen. Aufmerksame LeserInnen werden merken: Die Antworten gehen am Thema vorbei.

Denn bemerkenswerterweise ist zu beobachten, wie auch unter Parlamentariern die Diskussion die gleiche Wendung nimmt, wie die öffentliche Debatte zu #MeeToo. Statt die eigentliche Frage zu beantworten, ob die Politiker schon einmal einen Kollegen auf seinen Sexismus angesprochen haben, wollen die meisten lieber wieder über das Verteilen von Komplimenten sprechen. Es scheint für viele Männer eine Herzensangelegenheit zu sein, dass ihnen niemand, wirklich niemand, das Recht wegnimmt, Frauen Komplimente zu machen. Außerdem scheinen viele es als persönlichen Affront zu empfinden, wenn besagte Frauen anstatt mit Dankbarkeit mit Ablehnung oder gar Kritik auf die vermeintliche Schmeichelei reagieren.

Der ehemalige LINKEN-Fraktionsvorsitzende, Gregor Gysi, verfällt sogleich in den Reflex, zu beteuern, dass er gerne Frauen und Männern zu einem gelungenen Outfit gratuliert – auf unterschiedliche Weise. Warum, erklärt er nicht.

Stephan Brander von der AfD wundert sich, dass Frauen sich auf »Po, Beine, Brüste, Haare, Ohren, Nase, Augen« reduziert fühlen, wenn man eine entsprechende Bemerkung über das betreffende Körperteil macht. »Wenn ich sage, Sie haben schöne Augen – was machen sie denn dann? Dann reduziere ich Sie ja nicht auf ihre Augen«.

Parteikollege Martin Sichert fabuliert später über die Verschiedenheit der Frauen, mit der diese auf das elegant formulierte Kompliment »Du hast zu viel Holz vor der Hütten« reagieren. Ein komplexes Thema.

Thomas Heilmann (CDU/CSU) schießt jedoch am Ende des Videos den Vogel ab und liefert Docupy eine unfreiwillige Pointe. Er bittet die Interviewerin, seinen Kragen zurechtzurücken. Die Kamera läuft bereits. Mit schmierigem Grinsen sagt er zu ihr: »Sie dürfen alles anfassen.«

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