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Keine Angst vor Weihnachten

So könnte ein Nahwestexperte Geflüchteten die Heilige Nacht erklären.

  • Alexander Isele
  • Lesedauer: 5 Min.

Assalamu-aleikum, Friede sei mit Dir, die traditionelle arabische Begrüßung findet ihren Widerhall im christlichen Fest der Liebe - Weihnachten. Nachdem über Jahrzehnte hinweg westlich-christliche Orientexperten den Nahen Osten er- und verklärt haben, ist es nun Zeit, den neu in Deutschland Angekommenen die hiesigen Sitten und Gebräuche zu erklären. Als Nahwestexperte unter Deutschen - auf dass Toleranz und Mitgefühl wachsen.

Weihnachten ist nach Ostern und Pfingsten der drittwichtigste Feiertag der Christen. Wie wichtig die Geburt Jesu in Bethlehem ist, zeigt sich auch daran, dass sie in der christlichen Welt als Beginn der Zeitrechnung gilt. Wir sind nun im Jahr 2017 nach der Geburt, obwohl vermutlich das eine oder andere Jahr in der Zählung vergessen oder hinzugefügt wurde.

Die deutsche Kultur ist tief geprägt von christlichen Werten und Vorstellungen. Dass kann schon an den Namen vieler Mitmenschen gesehen werden: Weit verbreitete Namen wie Johannes oder Maria sind Personen aus dem heiligen Buch der Christen, der Bibel. Christian hat einen direkten Bezug zum Christentum. Aber auch in der Sprache ist »Allah«, den die Christen Gott nennen, allgegenwärtig. Die Aufforderung »Grüß Gott!« und der Ausruf »Gott sei Dank« zeugen von einer tiefen Religiosität. Sprüche wie »Vergelt’s Gott« oder »Um Gottes Willen« bezeugen, wie sehr Christen an einen eingreifenden Gott glauben. Im wichtigsten Gebet, dem »Vater unser« (im Christentum ist die Vorstellung weit verbreitet, dass Gott ein Geschlecht hat und ein Mann ist), bitten die Gläubigen darum, dass Gott ihnen gnädig sei, sie täglich mit Nahrung versorge, ihnen ihre Sünden verzeihe und sie nicht in die Versuchung bringe, zu sündigen. Gott wird als misstrauisch dargestellt und testet den Glauben und die Aufrichtigkeit seiner Anhänger.

Wie sonst höchstens noch zu Ostern, pilgern an den Weihnachtstagen Millionen von Gläubigen in die Gebetshäuser. Die »Imame«, die die Christen »Priester« nennen, rufen in den Gottesdiensten zu Frieden und Miteinander auf. Dabei folgen sie auch am Fest seiner Geburt einem Totenkult: Der Leichnam des Propheten Christi ist allgegenwärtig in den Kirchen. In einer Zeremonie werden Wein und Brot in das Blut und den Leib Christi umgewandelt, die dann gemeinschaftlich verspeist werden. Denn Jesus ist für die Sünden der Menschen gestorben und ist somit Ausdruck der Gnade Gottes, der seinen eigenen Sohn für die Verfehlungen der Menschen opferte.

Die Weihnachtszeit umfasst ungefähr sechs Wochen und beginnt manchmal bereits Ende November. In der christlichen Mystik schenkt sich Gott der Welt. Sein Sohn, welcher in einer verstandenen Dreifaltigkeit er selbst ist, wird geboren, um die Welt zu erlösen. Deshalb ist die gesamte Weihnachtszeit geprägt von Großzügigkeit und Geschenken. Kinder bekommen im Dezember an jedem der 24 Tage bis zum Weihnachtsfest ein Geschenk aus einem Adventskalender, oft etwas zu naschen. Am Nikolaustag wird einem Heiligen der Ostkirche gedacht, der die Kinder befragt und die »artigen« belohnt und die »unartigen« bestrafft. Die Weihnachtszeit wird dazu genutzt, großzügig zu Hilfsbedürftigen, zu Freunden und Bekannten, aber auch zu Fremden zu sein.

Das Weihnachtsfest verbindet auch das alte mit dem neuen Jahr. Am Fest der Heiligen drei Könige am 6. Januar wird drei Herrschern gedacht, die einen Kometen beobachteten und in ihm ein Zeichen für die Ankunft des Sohnes Gottes sahen. Die drei Weisen folgten dem Stern, der sie zu dem Kind in der Grippe führte, in dem sie ihren Heiland erkannten. Als Ausdruck der Unterwerfung unter die Göttlichkeit des himmlischen Herrschers schenkten sie dem kleinen Kind Salbei, Myrrhe und Gold. In Deutschland verkleiden sich zu Anfang des neuen Jahres viele Kinder als die drei Könige und sammeln Spenden. Jedes Jahr werden sie gar von der Bundeskanzlerin empfangen, die ihnen für die gute Tat dankt.

Die Weihnachtszeit ist für Christen eine Zeit der Besinnung und der Familie. Menschen fahren Hunderte Kilometer durch das ganze Land, um bei ihren Angehörigen zu sein. Allerdings sind die Erwartungen an das Gelingen des Festes oft sehr hoch, und Streit ist an diesen Tagen weit verbreitet, Telefonberatungen verzeichnen besonders viele Anrufe. Die Wirtschaft macht zwei Tage Pause, wobei viele Unternehmen eine ganze Woche schließen. Dass können sie auch verkraften: Die Zeit vor den Weihnachtstagen ist für viele Geschäfte die umsatzreichste des Jahres.

Vor allem Geschenke werden gekauft, die dann in Süd- und Westdeutschland vom Christkind - Jesus als Kleinkind - in Norddeutschland vom Weihnachtsmann - eine aus dem Nikolaus entstandene Figur - verteilt werden. Zusammen mit dem Weihnachtsbaum, dem Adventskalender und dem Festbraten an Heiligabend gehören die Geschenke nicht zuletzt zum dekorativen Teil des Festes. Bei nicht wenigen Kindern führt im Laufe ihrer Kindheit die Erkenntnis zu Tränen, dass es eben nicht das Christkind oder der Weihnachtsmann war, der die Geschenke gebracht hat.

Nicht alle christlichen Gruppen feiern Weihnachten. Manche lehnen das Fest ab, weil sie nicht glauben, dass Jesus am 24. Dezember geboren wurde. Stattdessen sehen sie in dem Fest eine Aneignung der vorchristlichen, heidnischen Traditionen der Wintersonnwendfeier, die von der katholischen Kirche integriert wurden, um die Missionierung zu vereinfachen.

»Orientalismus« ist die Darstellung des Anderen anhand der Hervorhebung seiner Andersartigkeit, speziell im Nahen Osten. Wie sehr das spaltet, kann erahnt werden, wenn dies einmal umgedreht passiert.

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