Familiäre Hilfe für Pflegebedürftige wurde unterschätzt

Thüringen: Menschen ziehen bei Pflegebedürftigkeit, so hieß es jahrelang, in die Städte - doch die Statistiker sagen nun etwas anderes

  • Sebastian Haak, Erfurt
  • Lesedauer: 3 Min.

In Thüringen hat es bislang offenbar keinen großen Zuzug von pflegebedürftigen und damit meist älteren Menschen in die urbanen Zentren des Landes gegeben. Dies kann man als Ausweis dafür deuten, dass die Hilfen für ältere Menschen innerhalb von Familien im Freistaat noch funktionieren und die medizinische Infrastruktur im ländlichen Raum Thüringens noch ziemlich intakt ist. In den Diskussionen um die Zukunft Thüringens in den vergangenen Jahren war immer wieder erwartet worden, dass es überdurchschnittlich viele pflegebedürftige Menschen in den Städten geben werde.

Aktuellen Zahlen des Landesamtes für Statistik zufolge ist dies aber nicht so, viele Pflegebedürftige verbringen demnach auch ihren Lebensabend im ländlichen Raum. So zeigen die Daten beispielsweise, dass es Ende 2015 in allen kreisfreien Städten Thüringens zusammengenommen im Durchschnitt 13 Pflegebedürftige je 1000 Einwohner gab, die stationär in einem Heim gepflegt wurden - und damit fast genau so viele, wie durchschnittlich in allen Thüringer Landkreisen zusammen. Dort lag die Anzahl der stationär Pflegebedürftigen bei 12,5 Menschen pro 1000 Einwohner. Bei den Menschen, die eine ambulante Pflege erhielten, war die Anzahl in den Landkreisen und kreisfreien Städten mit je 10,7 Pflegebedürftigen pro 1000 Einwohner sogar gleich.

Dabei gibt es durchaus regionale Unterschiede bei der Anzahl der ambulant oder stationär Pflegebedürftigen. In Suhl beispielsweise gab es 14,1 ambulant Pflegebedürftige je 1000 Einwohner, in Jena dagegen nur 8,5 und in Erfurt 7,2. Doch hat Suhl eine insgesamt im Durchschnitt erheblich ältere Bevölkerung als Jena und Erfurt. Zudem gab es im Landkreis Hildburghausen 8,2 ambulant pflegebedürftige Menschen je 1000 Einwohner, in Schmalkalden-Meiningen 11,9, in Saalfeld-Rudolstadt 14,6. Doch auch diese Unterschiede im Detail deuten nicht darauf hin, dass es in Thüringen bislang einen übermäßigen Wegzug von Pflegebedürftigen in die Städte gegeben hätte.

Hauptgründe für die Annahme des Gegenteils in den Diskussionen um die Zukunft des Freistaates waren die in der Regel bessere medizinische Versorgung in der Stadt sowie das dichtere Angebot an öffentlichen Verkehrsmitteln dort.

Dass Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen in Thüringen bislang nicht in größerer Anzahl in die Städte gezogen sind, wird noch deutlicher, wenn man sich die Daten der Statistiker zur Anzahl der Pflegebedürftigen ansieht, die weder ambulante noch stationäre Pflege erhalten, sondern ausschließlich Pflegegeld bekommen. Sie liegt in den ländlichen Regionen des Landes deutlich höher als in den kreisfreien Städten. Während in den kreisfreien Städten Ende 2015 durchschnittlich 16,1 Menschen pro 1000 Einwohner Pflegegeld bekamen, waren es in den Landkreisen Thüringens 23,3 Menschen. Dies kann als ein Indiz dafür gelten, dass Menschen mit einer noch relativ geringen Pflegebedürftigkeit ihre gewohnte Umgebung auf dem Land nicht zugunsten einer Stadt verlassen und sich stattdessen lieber von Familienangehörigen unterstützen lassen - und diese Hilfe auch bekommen.

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