Sieben zähe Minuten

Am Staatstheater Mainz ist ein Stück über Arbeitnehmerrechte zu sehen: politisch klug, aber ohne Verve

  • Björn Hayer
  • Lesedauer: 3 Min.

Franz Müntefering nannte sie einstmals die Heuschrecken: Fremde Investoren, die sich in ein Unternehmen einkaufen, es wie eine Apfelsine ausquetschen und dann wie eine fade Schale wegwerfen. Doch, um im Bild zu bleiben, ist gegen einen derartigen Schädlingsbefall noch kein richtiges Mittel gefunden, erst recht nicht in Zeiten der Globalisierung. Gelten diese Vorgänge auf makroökonomischer Ebene inzwischen als normal, führen sie im Kleinen oftmals zu ungemeinen Verwerfungen: Arbeitsplatzabbau, Beschneidung von Arbeitnehmerrechten, Effizienzmaßnahmen und noch mehr Effizienzmaßnahmen.

Wo es um Schicksale geht, ist dann auch das Theater nicht weit. Stefano Massinis Kammerstück »7 Minuten Betriebsrat«, das jüngst am Staatstheater Mainz seine deutschsprachige Premiere hatte, schaut genau auf die Einzelnen, die unterschätzten Säulen einer Firma. Nachdem ihr Textilunternehmen an eine neue ausländische Besitzergruppe überging, sehen sich die Angestellten noch unbekannten Umstrukturierungen ausgesetzt. Die elf Arbeitnehmervertreterinnen rechnen mit großräumigen Stellenstreichungen oder harten Erpressungsversuchen. Doch zunächst weit gefehlt. Denn nach einer nicht öffentlichen Besprechung mit den neuen Geschäftsführern kommt die Sprecherin des Betriebsrates, die 61-jährige Blanche (Andrea Quirbach), mit lediglich einer Forderung zurück. Um jede im Unternehmen halten zu können, müssen alle täglich sieben Minuten von ihrer Pause abgeben. Das ist alles? - fragt man sich verwundert.

Mit Ausnahme der besorgten Überbringerin der Botschaft sind sich die übrigen Damen schnell einig. Da alle auf ihre Jobs angewiesen sind, signalisieren sie umgehend Zustimmung. Doch mehr und mehr sät Blanche Zweifel. Was bedeutet heute Verantwortung von Arbeitgebern? Stellt die Schenkung dieser wenigen Mehrarbeit nicht ein Dammbruchargument dar, auf das dann sukzessive weitere Beschneidungen von Rechten folgen könnten? Ist ein Betriebsrat nicht dazu eingesetzt, ein ungemütliches Korrektiv zu sein? Und muss man nicht das Große und Ganze dahinter sehen? Für die Einzelne mögen es sieben Minuten sein, für die Geschäftsführung - bei 200 Angestellten - sind es ungefähr 600 Stunden zusätzlicher und kostenfreier Leistungskraft pro Monat. Was Blanche mit ihren Fragen und Impulsen bezweckt, ist die Erteilung einer »Lektion in Würde«, die im Laufe dieses langen Diskussionsprozesses immer mehr ihrer Mitstreiterinnen überzeugt.

Die Umsetzung tut dies allerdings nur begrenzt. Erinnernd an das Setting von Reginald Roses Film »Die zwölf Geschworenen« (1954), bringt Carole Lorang einen recht zähflüssig verhandelnden Debattierclub auf die Bühne (Bühnenbild: Katrin Bombe). Als einzige Kulisse dient der Aufenthaltsraum mit kleinen Einzeltischen mit Rollen, die sich symbolisch trennen und zusammenschieben lassen, ringsherum befinden sich Schließfächer, in der Mitte des Raums rankt ein wuchtiger Betonquader empor. Statt anregendes Spiel und Einfallsreichtum steht vor allem der Dialog im Vordergrund, weswegen das Medium Theater nicht ausreichend seine ihm zur Verfügung stehenden Mittel gebraucht. Lediglich wenige Akzente und Metaphern werden gesetzt: Sobald die vermeintlich gute Nachricht von der geringfügigen Pausenbeschneidung eintrifft, räumen die Frauen ihre Wurfsteine in die Schränke. Oder ganz zu Beginn wird eine analoge nach der überragend großen Projektion der digitalen Uhr gestellt - ein passendes Bild für die Gefahr des Abgehängtwerdens in der digitalen Epoche der Beschleunigung und Computerisierung.

Trotz dieser pointiert gesetzten Geste wäre es wünschenswert gewesen, wenn man auch das revolutionäre Potenzial des laborartig angelegten Stücks in ein innovativeres Arrangement überführt hätte. Die Regie bleibt sichtlich zu sehr der klassischen Konfrontationslogik behaftet: Hier die Textaufführung, dort das passive Publikum, das manchmal lacht oder den Kopf schüttelt. Wo ist eigentlich Brecht? Wo lassen sich seine Verfremdungseffekte finden, welche ja zur Politisierung und zum Nachdenken aufseiten der Zuschauer beitragen? Man sucht sie vergebens. Carole Lange bietet letztlich Berieselung. Eine geistreiche durchaus! Theater kann jedoch weitaus mehr.

Nächste Vorstellung am 28. Dezember

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