Werbung

Liberales Nachtreten

Die FDP gibt Merkel die Schuld an gescheiterten Sondierungen und ergeht sich in Entmachtungsfantasien

  • Uwe Kalbe
  • Lesedauer: 2 Min.

In den Zeiten, als das Wünschen noch geholfen hat, war die Welt recht übersichtlich. Das gilt auch für die bundesrepublikanische Welt, in der die FDP als Zünglein an der Waage zwischen Union und SPD beider Wunschobjekt war. Andere Parteien gab es nicht im Bundestag, und so konnte die FDP ihre Rolle als Kanzlermacherin ausreizen, was sie auch gerne tat. Christlich-liberale wechselten sich mit sozial-liberalen Koalitionen ab; Namen wie Otto Graf Lambsdorff, Hans-Dietrich Genscher oder Wolfgang Mischnick stehen noch für diese Zeiten.

Doch die Zeiten haben sich geändert. Namen wie Christian Lindner und Wolfgang Kubicki stehen eher für eine FDP, deren Rolle nach vier Jahren in der außerparlamentarischen Opposition trotz respektablen Wiedereinzugs in den Bundestag weniger klar ist. Dennoch bedienen sich beide, der Parteivorsitzende wie sein Stellvertreter, selbstbewusst des Habitus’ früherer Parteigrößen und fordern mehr oder weniger deutlich nichts weniger als den Rücktritt der Bundeskanzlerin. Sie stellen dafür ihre Bereitschaft für eine Koalition in Aussicht, deren Zustandekommen sie vor Wochen bei den Sondierungen einer Jamaika-Koalition noch verhindert hatten.

Nachdem Christian Lindner kürzlich bereits der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung« erklärt hatte, dass seine mangelnde Begeisterung für Jamaika mit der Person Angela Merkels zu tun habe, setzte nun Wolfgang Kubicki noch einen drauf, indem er Merkel indirekt ein abgekartetes Spiel bei den Sondierungen vorwarf. Der CDU-Chefin sei es nie darum gegangen, Jamaika hinzukriegen, sagte er den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Merkel habe »daran gebastelt, die Fortsetzung der Großen Koalition zu erreichen. Das ist ihr gelungen.« Es sei nicht seine Aufgabe zu sagen, Merkel muss weg, meinte Kubicki. Und tat doch nichts anderes als das, indem er seine Favoriten für eine Nachfolge der Kanzlerin nannte: CDU-Präsidiumsmitglied Jens Spahn und den schleswig-holsteinischen CDU-Ministerpräsidenten Daniel Günther.

Die SPD, die sich nur zögernd der Nötigung zu einer Neuauflage einer Großen Koalition ergibt, sank nach einer Umfrage mittlerweile auf nur noch 19 Prozent der messbaren Wählergunst, während die FDP in mehreren Erhebungen zwischen 8 und 10,5 Prozent schwankt. Schlagzeilenträchtig war jedoch eine andere Erhebung, die flugs mit den Entmachtungsfantasien der liberalen Gernegroße in Zusammenhang gebracht wurde. Fast jeder Zweite (47 Prozent) wünschte sich einer YouGov-Umfrage im Auftrag der Deutschen Presse-Agentur zufolge, dass Merkel ihren Posten vor Ende der Wahlperiode 2021 räumen möge. Anfang Oktober hatten dies nur 36 Prozent erträumt. Allerdings: Bei einem Ergebnis von ebenfalls nicht berauschenden 26,8 Prozent, das die CDU zur Bundestagswahl im September erzielte, dürfte Angela Merkel ihren persönlichen Sympathiewert nicht überbewerten.

Wir stehen zum Verkauf. Aber nur an unsere Leser*innen.

Die »nd.Genossenschaft« gehört denen, die sie lesen und schreiben. Sie sichern mit ihrem Beitrag, dass unser Journalismus für alle zugänglich bleibt – ganz ohne Medienkonzern, Milliardär oder Paywall.

Dank Ihrer Unterstützung können wir:

→ unabhängig und kritisch berichten
→ übersehene Themen in den Fokus rücken
→ marginalisierten Stimmen eine Plattform geben
→ Falschinformationen etwas entgegensetzen
→ linke Debatten anstoßen und weiterentwickeln

Mit »Freiwillig zahlen« oder einem Genossenschaftsanteil machen Sie den Unterschied. Sie helfen, diese Zeitung am Leben zu halten. Damit nd.bleibt.