Nord- und Südkorea reichen sich die Hand

Deeskalation zu den Olympischen Winterspielen in Pyeongchang / Kim treibt Keil zwischen Seoul und Washington

  • Daniel Kestenholz, Bangkok
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Neujahrserklärung von Nordkoreas Führer Kim Jong Un zeigte, wie selbstbewusst der Jungdiktator sich auf internationalem Parkett zu bewegen weiß. Mit heiserer Stimme sprach Kim vom Atomknopf, der immer auf seinem Arbeitstisch sei. Die Entwicklung von Nordkoreas Atomprogramm sei abgeschlossen, 2018 gehe es um die Massenproduktion von Atomwaffen und Interkontinentalraketen, mit denen er die USA treffen könne. In der gleichen Rede eröffnete Kim auch die neue Strategie, direkte Kontakte mit Südkorea aufzunehmen, in der Hoffnung, damit einen Keil zwischen die Allianz zwischen Seoul und Washington zu treiben. Südkorea reagierte prompt und bestätigte Gesprächsbereitschaft mit Pjöngjang.

Von einem Tauwetter auf der koreanischen Halbinsel zu sprechen wäre verfrüht. Die Zeichen deuten jedoch klar in Richtung Deeskalation, bei der die USA keine Rolle übernehmen würden. Kim scheint sogar eine gewisse Eile zu bekunden, indem er einen dringenden Dialog zwischen den beiden Koreas noch vor der Eröffnung der Olympischen Winterspiele nächsten Monat im südkoreanischen Pyeongchang wünscht. Kim geht sogar noch einen Schritt weiter und will, dass Nordkoreas Wintersportler an der Olympiade teilnehmen, was Südkoreas Präsident Moon Jae ihm im vergangenen Jahr offerierte. Nördliche Olympioniken im Süden, das wäre der deutlichste innerkoreanische Annäherungsversuch seit dem Ende der von Friedensnobelpreisträger Kim Dae Jung begründeten Sonnenscheinpolitik.

Wenige Stunden nach Kims Neujahrsrede antwortete Moons Regierung entgegenkommend auf das Gesprächsangebot, was fraglich machte, wie detailliert sich Seoul mit Washington abgesprochen hatte. Präsident Moon, ein Liberaler, fordert seit Monaten die wirtschaftliche und diplomatische Annäherung an den Norden, während die USA unter Präsident Donald Trump eine Abschottungspolitik mit verschärften Sanktionen forcieren. Dieser Politik stellt sich Moon jetzt entgegen: »Wir haben unsere Bereitschaft bekundet, jederzeit, an jedem Ort und in jedem Format in einen Dialog mit Nordkorea einzutreten, solange beide Seiten über die Wiederherstellung ihrer Beziehungen und des Friedens auf der koreanischen Halbinsel diskutieren können«, sagte ein Präsidentensprecher. Kims Neujahrsansprache zeigte auch erstmals gewissen Respekt für Präsident Moon, den nordkoreanische Medien soweit als rückgratlosen Lakaien der Vereinigten Staaten dargestellt haben. Die beachtliche Veränderung in Ton und Politik, hin zu möglichen bilateralen Gesprächen zwischen den beiden Koreas, deutet darauf hin, dass Kim das Zeitfenster gekommen sieht, die Initiative zu übernehmen und die Verbündeten zu spalten.

Denn Trump zeigte sich unlängst auch erzürnt über China, das die Lieferung von Öl nach Nordkorea zugelassen und sich damit über Sanktionen der Vereinten Nationen hinweggesetzt habe. Südkorea beschlagnahmte eben zwei Öltanker, die unter Verdacht standen, Erdölprodukte mittels Schiff-zu-Schiff Transfers auf hoher See an Nordkorea zu liefern. China reagierte gelassen auf Trumps Vorwürfe, und Präsident Moon wettet jetzt wohl darauf, dass der Präsident der USA nicht in der Lage sein wird, größeren Druck auf Nordkorea auszuüben, wenn er dies nicht duldet.

Auch setzt sich Moon mit der Gesprächsbereitschaft über Bedingungen Trumps hinweg, sich erst an den Tisch mit Nordkorea zu setzen, wenn dieses deutlich macht, dass es seine Atom- und Raketentests aufgibt und dass das Endziel der Verhandlungen eine vollständige und nachprüfbare Demontage von Nordkoreas Nuklearpotenzial ist. Der Sanktionsdruck beißt Kims Regime und Nation sicherlich, was ihn mit zu der Gesprächsouvertüre zwingen mag. Mit der Teilnahme Nordkoreas an den Olympischen Winterspielen stellt Südkorea auch sicher, dass Pjöngjang den Anlass nicht mit Raketentests oder sonstigen Provokationen zu stören versucht.

Wenn es einen Gewinner der jüngeren nordkoreanischen Eskalationsstrategie gibt, dann Nordkorea selber. Kim scheint seine Ziele zu erreichen. Ein geradezu erleichtertes Seoul macht keine Auflagen für Gespräche und die Beziehungen zwischen Seoul und Washington sind angespannt.

Der Beweis steht zwar noch aus, ob Nordkorea tatsächlich die Technologie beherrscht, dass eine mit Atomsprengkopf bestückte Trägerrakete den Wiedereintritt in die Erdatmosphäre übersteht. Doch Kim sagt unmissverständlich: Das Nuklearprogramm des Nordens ist unaufhaltsam. Trump solle besser lernen, es einfach zu akzeptieren.

Sollte es zu formellen Gesprächen kommen, wird auch Kim eine andere Gangart einlegen. Nordkorea würde auf große Zugeständnisse und Hilfe wie Geldzahlungen pochen, auf die Aufhebung der Sanktionen sowie den Abbau der amerikanischen Militärpräsenz auf der koreanischen Halbinsel. Auf sein Nukleararsenal verzichten wird Kim wohl nicht, er wird es höchstens einfrieren. Von den gestürzten Regimen in Irak und Libyen hat Nordkorea gelernt, was es bedeutet, sein Abschreckungspotenzial aufzugeben.

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