Ein Besuch vom »Berufsrevolutionär«

CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt lässt sich bei seiner Revolutionsidee vom ungarischen Ministerpräsidenten inspirieren

  • Florian Haenes
  • Lesedauer: 3 Min.

Eine Revolution strebt CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt also an. Besorgnis, wie sie ZDF-Journalistin Marietta Slomka am Donnerstagabend im »heute journal« äußerte, lächelt er einfach weg: Er könne ihrer »Überinterpretation« des Revolutionsbegriffs überhaupt nicht folgen. Systemwechsel, Aufstand, radikaler Wandel - nichts davon hätte er im Sinn.

Wirklich? Beabsichtigt Dobrindt mit einem Revolutionsessay in der Tageszeitung »Die Welt« bloß, den »Protestwählern eine Stimme zu geben«? Oder testet Dobrindt seine Skrupel? Wie weit würden er und die CSU gehen? Um über diese Fragen Klarheit zu erlangen, muss man nach Ungarn blicken. Dort regiert Victor Orban, ein gefeierter Held der Christsozialen.

Der ungarische Ministerpräsident ist am Freitag auf Einladung Dobrindts zum fünften Mal in vier Jahren nach Bayern gereist. Es ist das erste offizielle Aufeinandertreffen mit der CSU-Spitze, seit das Europäische Parlament im April vergangenen Jahres ein Rechtsstaatsverfahren gegen das Vorgehen von Orbans Fidesz-Regierung eingeleitet hat. Immer noch sucht man kritischen Stimmen vergeblich. Orban wird in Bad Seeon abermals verehrt.

Dieser Besuch ist mehr als ein PR-Gag. Er deutet darauf hin, in welche Richtung die CSU-Spitze ihre Partei ausrichten will.

Zwischen 1998 und 2002 amtierte Orban - damals noch Vorsitzender einer liberalen Partei - das erste Mal als Ministerpräsident. Doch er wurde abgewählt und ein Sozialdemokat folgte ihm ins Amt. »Die Abwahl hat ihn sehr geprägt, nahezu fassungslos musste er die Macht an die Sozialisten zurückgeben, denen er sie erst vier Jahr zuvor abringen konnte«, schildert die CSU-nahe Hanns-Seidel-Siftung Orbans Gemütsverfassung in einem Analysepapier.

Ähnlich fassungslos nehmen CSU-Politiker in diesen Wochen demoskopische Umfragen zur Kenntnis. Bei der Landtagswahl im Herbst droht der CSU ein dramatischer Stimmenverlust. Hoffnung schöpft man aus dem Beispiel Orban: Denn der ließ sich nach seiner Niederlage von der CSU beraten, kopierte und radikalisierte ihr Konzept. Die Seidel-Stiftung frohlockt: »Orban wandelte Fidesz von einer liberalen zu einer konservativen Partei um (...). Er hat danach seine Partei noch weiter rechts-konservativ positioniert, Werte wie Familie, Glaube an Gott und die Nation rückten bei dem fünffachen Familienvater Orban mehr in den Vordergrund.«

Orban ist also ein Kind der CSU. Nicht ausgeschlossen, dass der einfache Familienvater Dobrindt und die vierfachen Familienväter Seehofer und Söder sich nun umgekehrt die Fidesz-Partei zum Vorbild machen. Doch wie weit dürfen sich konservative Demokraten nach rechts wagen?

Eine Frage, die seit Jahren die Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP) im Europaparlament umtreibt. Die Extrempositionen besetzen dort auf der einen Seite die liberalkonservativen Abgeordneten der polnischen Bürgerplattform (PO). In Polen befinden sie sich in der Opposition und fürchten um ihre Freiheit. Auf der anderen Seite: die zwölf Abgeordneten der rechtskonservativen Fidesz-Partei. Ihr Chef - Viktor Orban - stützt die in Polen regierende und ebenfalls rechtskonservative Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS). Die PO-Abgeordneten sagen deshalb: »Ihr oder wir« und fordern den Ausschluss von Fidesz. Zwischen den Fronten: Fraktionschef Manfred Weber, stellvertretender Vorsitzender der CSU.

Die Spaltung der Konservativen in Liberale und Autoritäre verläuft mitten durch die EVP. Zwar distanzieren sich inzwischen viele Mitglieder von Fidesz. Doch Fraktionschef Weber will ihre Abgeordneten nicht ausschließen. Er begründet es damit, dass er die Fraktionen von EU-Skeptikern und Rechtsextremen nicht stärken will. Besänftigung durch Integration - das scheint die Strategie. Doch zur Wahrheit gehört auch, dass Fidesz in Ungarn erfolgreich ist und die PO in Polen gescheitert.

Nach Franz Josef Strauß heißt konservativ sein, an der Spitze des Fortschritts zu stehen. Zwar hat sich Alexander Dobrindt im ZDF-Gespräch zu diesem Sinnspruch des liberalen Konservatismus bekannt. Jedoch trauen viele CSU-Wähler ihrer Partei nicht mehr zu, den liberalen Fortschritt mit dem Konservatismus zu versöhnen. Die Erdrutschsiege von Fidesz und PiS sind für die CSU eine Verlockung. Wenn sie ihre Skrupel ablegt, wird sie von Viktor Orban noch viel lernen können.

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