Wie erneuerbar sind die Grünen?

Linker Parteiflügel setzt bei der Vorstandswahl auf die bundespolitisch unbekannte Niedersächsin Anja Piel

  • Aert van Riel
  • Lesedauer: 4 Min.

Obwohl sie oft nicht einer Meinung waren, haben es Simone Peter und Cem Özdemir lange zusammen an der Spitze der Grünen ausgehalten. Nun ziehen sich die beiden Vorsitzenden zurück. Özdemir hatte schon vor einiger Zeit verkündet, nach mehr als neun Jahren nicht erneut für den Vorsitz kandidieren zu wollen. Am Montagmorgen zog Peter nach. Kurz vor dem Beginn der Vorstandsklausur erklärte die Saarländerin in einem Brief an die Parteimitglieder ebenfalls ihren Kandidaturverzicht.

Nähere Gründe für ihren Rückzug nannte Peter in dem Schreiben nicht. Sie wolle sich »einer Erneuerung der Parteispitze nicht verschließen«, hieß es dort lediglich. Kürzlich hatten der schleswig-holsteinische Umweltminister Robert Habeck und die Bundestagsabgeordnete Annalena Baerbock aus dem Brandenburger Landersverband erklärt, sich für die Doppelspitze zu bewerben. Beide werden dem Realo-Flügel der Partei zugerechnet. Peter gilt als eher links. Intern heißt es, dass sie in ihren vier Jahren als Ko-Chefin zu wenig sichtbar gewesen sei. Peter konnte bei Parteitagen bislang keine glänzenden Ergebnisse vorweisen und hätte fürchten müssen, bei der nächsten Bundesdelegiertenkonferenz, die Ende Januar in Hannover stattfinden wird, eine Abstimmung gegen Baerbock und Habeck zu verlieren.

Der linke Flügel der Grünen meint nun, eine aussichtsreichere Kandidatin gefunden zu haben. Anstelle von Peter will die niedersächsische Fraktionschefin Anja Piel neue Parteivorsitzende werden. Die Niedersachsen sind einer der größten Landesverbände und stellen entsprechend viele Delegierte. Zudem kann Piel auf die Stimmen der Grünen hoffen, die gegen die Entrechtung von Schutzsuchenden protestieren. Als die schwarz-rote Bundesregierung in der vergangenen Legislaturperiode die Axt an das Asylrecht anlegte und Staaten des Westbalkans für »sicher« erklärte, um unter anderem in ihrer Heimat diskriminierte Roma leichter abschieben zu können, hatte sich die damals regierende rot-grüne Landesregierung in Hannover wegen des Drucks der Ökopartei im Bundesrat enthalten.

Einige andere Länder mit grüner Regierungsbeteiligung hatten hingegen mit Ja votiert. Wenig kämpferisch zeigte sich in dieser Frage auch Simone Peter. Sie bezeichnete die Entscheidungen der Großen Koalition zum Asylrecht damals euphemistisch als einen »schwierigen Kompromiss in herausfordernden Zeiten«.

Piel hatte sich nach der Landtagswahl im Herbst vergangenen Jahres früh gegen eine Koalition mit CDU und FDP ausgesprochen. Sie verwies darauf, dass »die Forderungen der FDP bei den Themen Energiewende und Öffentlicher Nahverkehr nicht vereinbar mit den Vorstellungen der Grünen« seien. Anders als Piel waren ihre Konkurrenten Habeck und Baerbock Teil des Sondierungsteams der Grünen, das zu einer Einigung mit Konservativen und Neoliberalen im Bund bereit gewesen wäre, wenn die FDP nicht auf einmal den Verhandlungstisch verlassen hätte. Gegen Piel spricht allerdings ihre durchwachsene Bilanz als Wahlkämpferin. Im Jahr 2013 gewannen die Grünen in Niedersachsen 5,7 Prozentpunkte hinzu und wurden drittstärkste Kraft im Landtag. Knapp viereinhalb Jahre später hatte die Ökopartei dann wieder fünf Prozentpunkte verloren. Piel, die ihre Partei zweimal als Spitzenkandidatin anführte, blieb trotzdem als Fraktionschefin im Amt.

Weniger spannend als die Parteivorstandswahl wird voraussichtlich die Fraktionsklausur der Grünen verlaufen, die am Donnerstag beginnt. Dort sollen die Fraktionschefs Katrin Göring-Eckardt und Anton Hofreiter im Amt bestätigt werden. Auch Cem Özdemir hatte Ambitionen. Aber der Schwabe weiß, dass er eine Abstimmung gegen Hofreiter in der Fraktion nicht gewinnen würde. Özdemir vertritt in einigen Fragen Minderheitenmeinungen. So gehörte er vor wenigen Wochen zu den 21 Grünen in der 67-köpfigen Fraktion, die einer Verlängerung des Bundeswehreinsatzes in Afghanistan zustimmten.

Mit seiner Ko-Vorsitzenden Peter hatte sich der Realo Özdemir unter anderem darüber gestritten, ob sich die Grünen für eine Wiederbelebung der Vermögensteuer einsetzen sollten. In der ARD durfte Özdemir am Montag einmal mehr seinem Ärger über die Quotenregelung seiner Partei Luft machen. Die Quote nach Frauen, die sicherlich ihre Berechtigung habe, und nach den Flügeln, die in gar keiner Geschäftsordnung oder Satzung stehe, »das ist dann vielleicht manchmal ein bisschen zu viel des Guten«, sagte der scheidende Vorsitzende. Man kann das auch als Empfehlung an den Parteitag lesen, bloß nicht wieder eine linke Grüne als Teil des Spitzenduos zu wählen.

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