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Pankow übt Vorkaufsrecht aus

Städtische Wohnbaugesellschaft soll Haus in der Belforter Straße 16 übernehmen

  • Tim Zülch
  • Lesedauer: 3 Min.

Wer vor zwei Jahren das Wort Vorkaufsrecht in den Mund nahm, wurde noch müde als Fantast belächelt. Heute ist das Instrument zu einer relevanten Waffe der Bezirke gegen spekulationsorientierte Verkäufe von Immobilien geworden. Im vergangenen Jahr übte Friedrichshain-Kreuzberg mit Baustadtrat Florian Schmidt (Grüne) das Instrument elfmal aus. Dazu wurden noch elf Abwendungsvereinbarungen geschlossen, mit denen kostspielige Sanierungen oder die Umwandlung in Eigentumswohnungen ausgeschlossen werden. Auch aus Mitte und Neukölln wenden das Vorkaufsrecht inzwischen an. Zuletzt kündigte der Bezirk Pankow an, das Haus in der Belforter Straße 16 über die Gewobag kaufen zu wollen, da der Eigentümer eine sogenannte Abwendungsvereinbarung ablehnte (»nd« berichtete).

Herr Bauch, der seinen Vornamen nicht nennen will, wohnt seit 1974 im vierten Stock des Hauses. Er steht mit ein paar Einkaufstaschen davor. Bauch sei froh, wenn das Haus nicht an eine Briefkastenfirma aus »Belgien, Amerika oder irgendwelchen Inseln« verkauft wird, sagt er. Er zeigt auf die Platanen vor dem Haus. »Schauen Sie, die habe ich Mitte der 1980er Jahre gepflanzt. Jetzt spenden sie Schatten und dämpfen den Straßenlärm.« Er ist sich sicher, dass er sich die Wohnung nicht mehr leisten könnte, wenn ein neuer Besitzer an der Mietschraube dreht: »Die anderen Mieten im Haus sind viel teurer, weil ständig Leute ein- und ausziehen.«

Insgesamt gibt es hier in der Nähe des Kollwitzplatzes immer weniger Alteingesessene, obwohl doch die Gegend ideal sei: »Der Alexanderplatz ist nicht weit, und es fahren überall Busse und Bahnen.«

Wie der aktuelle Stand des Verfahrens ist, war kurzfristig nicht zu erfahren, weil der zuständige Bezirksstadtrat Vollrad Kuhn (Grüne) im Urlaub ist und sein Vertreter, Bezirksbürgermeister Sören Benn (LINKE), für eine Auskunft nicht zur Verfügung stand. Bekannt ist, dass dem bisherigen Besitzer Anfang Januar ein Bescheid über die Ausübung des Vorkaufsrechts zugestellt wurde, nachdem dieser eine sogenannte Abwendungsvereinbarung nicht unterzeichnen wollte.

Darin forderte der Bezirk laut rbb24, dass der neue Besitzer in den kommenden 20 Jahren keine Personenaufzüge oder Balkone ein- oder anbaut und keine energetischen Umbauten am Haus vornimmt.

Für die Bezirke ist die Anwendung des Vorkaufsrechts in sozialen Erhaltungsgebieten nach Baugesetzbuch nicht ganz einfach. Die Fristen sind kurz, zwei Monate hat der Bezirk Zeit, nach der Anzeige des Hausverkaufs durch den Besitzer einen formellen Vorkaufsbescheid zuzustellen. Wenn man bedenkt, dass nach einer Senatsrichtlinie vom Juli 2017 zur rechtlichen Absicherung nach Möglichkeit ein BVV-Beschluss angestrebt und ein Verkehrswertgutachten durch den Bezirk eingeholt werden sollen, Verkäufer und potenzieller Käufer angehört werden müssen und eine Finanzierung auf die Beine gestellt werden muss, ist das kein leichtes Unterfangen.

Dass der Senat, wie Finanzsenator Matthias Kollatz-Ahnen (SPD) bekräftigte, mittlerweile mitzieht und die landeseigenen Wohnungsbaugenossenschaften den Kauf vollziehen, macht Vorkäufe überhaupt erst praktikabel. Laut Kollatz-Ahnen könnte künftig zusätzlich ein Teil der knapp zwei Milliarden Euro aus dem Sondervermögen des Landes für Investitionen (SIWANA) für Grundstücksankäufe verwendet werden. Mieterinitiativen wie das Freiburger Mietshäusersyndikat fordern, dass zusätzlich gemeinwohlorientierte Träger wie Stiftungen oder Genossenschaften als Käufer im Vorkauf berücksichtigt werden.

Die Berliner Mietergemeinschaft gibt in einem kritischen Arbeitspapier zu bedenken, dass das Vorkaufsrecht nur bei direkten Verkäufen von Objekten greife. »Viele Immobilienverkäufe gehen jedoch als sogenannte Share-Deals über die Bühne, bei denen nicht die Immobilie selbst, sondern Unternehmensanteile des Eigentümers verkauft werden. Bei dieser von vielen Investoren auch zur Steuervermeidung genutzten Strategie kann der Bezirk das Vorkaufsrecht nicht anwenden.« Eine zusätzliche Problematik sind die drohenden Klagen von Eigentümern gegen das Vorkaufsrecht.

Ehepaar Bauch in der Belforter Straße 16 hofft indessen, dass der Vorkauf an die Gewobag reibungslos über die Bühne geht. »Unsere Miete zahlen wir noch an den alten Eigentümer. Wir hoffen und harren der Dinge.«

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