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Der Mitbewohner
Manchmal ist das Leben in einer Wohngemeinschaft nur schwer zu ertragen
Der Mitbewohner ist untragbar. Er ist der Geist, den wir mittels WG-Gesucht-Anzeige riefen. Der Mitbewohner will mit uns wohnen. »Bitte keine Zweckgemeinschaft« ist der Vorbote des absoluten Sozialwahnsinns. Er will von unserem Joghurt essen, unsere Couch vollaschen, unsere Schuhe von links nach rechts räumen, unser Bettchen verleihen, sich mit uns eine Gemüsekiste teilen und über das Anschaffen einer Spülmaschine abstimmen. Der Mitbewohner will Putzpläne erstellen, er will, dass Putzpläne eingehalten werden und er will »einmal die Woche gern auch miteinander kochen«. Der Mitbewohner sagt Dinge, wie »Hey, nur zur Info: Ich bekomme heute von zwölf Kontrabassspielenden Stinkehippies Besuch, die dann mindestens eine Woche bleiben«, »Warst du diese Woche nicht mit dem Klo dran!« (kein Fragezeichen), oder auch »Wir sollten hier mal wieder frischen Schwung rein bringen und was bei Ikea bestellen«, aber meistens: »Kann ich was von deiner Milch haben?«
Milch ist alles. Es ist die Währung in Wohngemeinschaften, das Pendant zu Zigaretten im Knast, das Schmiermittel für soziale Beziehungen. Gäbe es keine Milch, müsste man mit dem Mitbewohner vielleicht niemals reden.
Jetzt sagt ihr: Na, dann trink doch keine Milch! Das Problem ist: Milch ist gut und wichtig. Milch bedeutet Kaffee. Kaffee kills the »Zweck-WG«. An ihm kann sich jedoch festhalten, wenn etwas »WG-Internes beredet« werden soll. Man kann ihn im Mund aufbewahren, wenn man nichts bereden will. Man kann ihn als Ausrede benutzen, wenn man ihn nur mal schnell zubereiten und dann »leider wieder an die Arbeit« muss. Der Mitbewohner ist immer aktiver als man selbst. Er geht zum Sport. Er stellt Smoothies in den Kühlschrank. Er liest tatsächlich das Zeug, das auf dem Klo rumliegt (klassisch linke Literatur, damit Besuch denkt: Ach, was für Superhirne hier wohnen, die Marx als Klolektüre haben, mit denen will ich direkt schlafen).
Wenn der Mitbewohner gerade nicht aktiv ist, scheint es, als sei er nur da, um einem beizuwohnen. Er taucht aus allen Ecken auf, um in dem Moment, in dem du auf Toilette musst, duschen zu gehen, die Couch zu belegen, wenn du gerade liegen willst, sich etwas in den Ofen zu schieben, wenn das Haltbarkeitsdatum deiner Lasagne gerade abläuft.
Der Mitbewohner läuft ständig in agilen Mitbewohner-Schritten vor deiner Tür auf und ab, um irgendwelches Zeug rumzuschleppen oder sich. Du liegst in deinem Bett und wartest, bis es verhallt. Es verhallt nie. Du wirst dein Zimmer nie verlassen. Der Mitbewohner ist das Gegenteil vom Schweinehund. Er ist der Hund. Er hechelt und höckert und will mit dir raus. Du liegst umgedreht darnieder. Ich denke, ich habe endlich Kafka verstanden.
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