• Berlin
  • Ex-LAGeSo-Chef Muschter

»Der Umbau kam nicht richtig zum Fliegen«

Sebastian Muschter sollte 2016 als LAGeSo-Chef das Chaos in der Berliner Flüchtlingsverwaltung beseitigen

  • Johanna Treblin
  • Lesedauer: 4 Min.

Herr Muschter, Sie sind Anfang 2016 von McKinsey geholt worden, um das Chaos im Landesamt für Gesundheit (LAGeSo) in den Griff zu bekommen.

Ja, dafür bin ich geholt worden, auf dem Höhepunkt der Krise mit Tausenden Flüchtlingen in einer humanitären Notlage.

Zur Person
Sebastian Muschter leitete ab Januar 2016 ein Jahr lang das Landesamt für Gesundheit. Er sollte das Image der Behörde verbessern, nachdem der hohe Zuzug von Geflüchteten die Verwaltung ins Chaos gestürzt hatte. Nun hat er ein Buch über seine Erlebnisse geschrieben. Johanna Treblin hat mit ihm darüber gesprochen, was in der Verwaltung falsch gelaufen ist und noch läuft.

Vor dem LAGeSo standen Tag und Nacht Geflüchtete. Es gab nicht genügend Mitarbeiter, um sich um sie zu kümmern, und zu wenige Plätze in Flüchtlingsheimen. Hat die Verwaltung versagt?

Sie hat zu lange gebraucht, um sich auf die Lage einzustellen. Die Höhe des Ansturms war nicht vorhersehbar. Aber im LAGeSo ist das Wasser seit 2011 kontinuierlich gestiegen. Jedes Jahr haben sich die Fallzahlen verdoppelt. 2014 hat das LAGeSo dann für mehrere Tage den Kundenverkehr eingestellt und aus Nachbarabteilungen, die nichts mit Flüchtlingen zu tun hatten, Leute zusammengezogen, um einen Rückstand abzubauen. Spätestens da war eigentlich jedem klar, dass das Amt auf die stetig steigenden Flüchtlingszahlen nicht vorbereitet ist. Da hätte man nach vorne schauen, realistische Szenarien entwickeln und sich darauf vorbereiten müssen.

»Gestalten statt verwalten«, so heißt Ihr Buch, das Sie über Ihr Jahr am LAGeSo geschrieben haben. Das ist für Sie ein Widerspruch?

Nein, das ist für mich eine Weiterentwicklung. Verwalten heißt, mit dem Bestehenden zu arbeiten. Gestalten heißt, das, was kommen soll, vorzubereiten. Zu so einem vorausschauenden Planen will ich mehr Behörden ermutigen. Dazu gehört, parallel zu arbeiten, neben dem Tagesgeschäft auch strukturelle Verbesserungen anzugehen: die Aktenführung digitalisieren, die Personaleinstellungen vorantreiben, über neue Organisationsstrukturen nachdenken, Kunden besser verstehen, darüber, wie wir Arbeit anders organisieren, um sie besser, flexibler und effizienter zu machen.

Das gab es nicht am LAGeSo?

Genau. Es gab zu wenige Mitarbeiter, und die hatten das Rüstzeug dafür nicht. Es hatte aber auch niemand den Auftrag, sich um solche Sachen zu kümmern. Viele Behörden verstehen sich als Abarbeitungsmaschine für das Geschäft, das heute definiert ist. Sie ist nicht gleichzeitig eine Organisation, die über ihre eigene Zukunft nachdenkt. Das ist für mich das Kernproblem.

Die Dauerbaustelle Berlins: Zu wenig Personal in der Verwaltung.

Die Logik war die: Wir haben zu viel zu tun, weil wir zu wenige Leute sind. Wir schaffen es nicht, neue Leute einzustellen, weil wir die Aufgabenbeschreibung für die Leute nicht haben. Die haben wir nicht, weil wir die Organisationsstruktur noch nicht definiert haben. Und die gibt es noch nicht, weil wir zu viel zu tun haben. Ein absoluter Teufelskreis. Deshalb mussten wir erst einmal einstellen. Und wenn Sie mehr Personal wollen, müssen Sie mit der politischen Relevanz argumentieren. Sie müssen auf die Trends draußen gucken und entsprechend sauber begründen. Wenn Sie dann nur 15 Prozent des Personals bekommen, das Sie angemeldet haben, dann dürfen sie nicht einfach weiterarbeiten. Tut man es doch, ist man selbst schuld, wenn man es nicht hinkriegt.

Und Sie haben richtig argumentiert?

Wir haben für das LAGeSo, gerade beim Thema Gesundheit, einen Personalbedarf erkannt, das politisch gut aufbereitet, angemeldet und damit tatsächlich einen deutlichen Personalaufwuchs genehmigt bekommen.

Was hatten Sie sich für das Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) überlegt, das während Ihrer Amtszeit gegründet wurde?

Wir hatten im Flüchtlingsbereich 60, 70 Projekte angeschoben. Ich habe Mitarbeiter von Tagesarbeiten entlastet, damit sie sich darum kümmern können.

Und diese Projekte sind jetzt ins LAF eingeflossen?

Zum Teil. Bei der kulturellen Veränderung bin ich etwas an meine Grenzen gestoßen. Nach der Abspaltung des LAF ist das Tagesgeschäft wieder stärker in den Fokus gerückt. Es gab wieder andere Prioritäten, teilweise wurde auch wieder stärker zentralisiert und kontrolliert.

An welchem Beispiel kann man das am besten festmachen?

Also: Sie haben eine Flüchtlingsunterkunft. Sie müssen einen Betreiber finden, einen Vertrag abschließen, die monatlichen Rechnungen prüfen, das Gebäude herrichten, Beschwerden aufnehmen. Also ist es sinnvoll, eine Organisationsstruktur zu schaffen, bei der alles, was zu einem Objekt gehört, von einem Team bearbeitet wird. Früher waren Herrichtung und Betrieb einer Unterkunft in unterschiedlichen Abteilungen organisiert. Die Idee von allen war, das umzubauen. Das wurde begonnen, aber ist noch nicht richtig zum Fliegen gekommen.

Woran lag das?

Zu viele offene Stellen. Ein Kernproblem ist immer das Zusammenspiel zwischen Politik und Verwaltung. Wenn die politischen Prioritäten nicht mit dem operativen Verwaltungsgeschäft im Einklang stehen, kriegen Sie die aufwendigen Besetzungsverfahren nicht gestemmt. Politik und Verwaltung müssen einen gemeinschaftlichen Plan für die Zukunft entwickeln. Das ist in den vergangenen Monaten besser geworden.

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