Russische Gewerkschaft als »ausländischer Agent« aufgelöst

Gewerkschaft MPRA ist angeblich politisch / Konsequente Streikaktionen in der Autoindustrie

  • Ute Weinmann, Moskau
  • Lesedauer: 3 Min.

Für die russischen Gewerkschaften begann das neue Jahr mit einem Knall. In der Vorwoche verfügte ein St. Petersburger Gericht über die Auflösung der »Überregionalen gewerkschaftlichen Arbeiterassoziation«, kurz MPRA.

Damit folgte das Gericht der Argumentation der Staatsanwaltschaft, die die Tätigkeit der Gewerkschaft als politisch einstufte und überdies eine Finanzierung aus dem Ausland konstatierte. Aufgrund dessen können nichtkommerzielle Organisationen in Russland als »ausländische Agenten« eingestuft werden. Nur ist das auf Gewerkschaften eigentlich nicht anwendbar, denn deren Status regelt ein gesondertes föderales Gesetz, dessen Paragrafen formal Vorrang vor anderen gesetzlichen Bestimmungen genießen.

In der Anfangszeit der seit 2006 existierenden MPRA mit heute etwa 3000 Mitgliedern sorgten deren konsequente Aktionen in Betrieben der Autoindustrie landesweit für Aufmerksamkeit. Angefangen hatte es mit mehreren Streiks im Ford-Werk nahe St. Petersburg, die der heutige Vorsitzende, Aleksej Etmanow, organisierte. Mittlerweile ist sie in 40 Regionen vertreten, darunter beim Autohersteller AvtoVAZ und bei der Endfertigung von PSA und Volkswagen in Kaluga.

Die MPRA ist Mitglied des russischen Gewerkschaftsverbands »Konföderation der Arbeit Russlands« (KTR) und des internationalen Gewerkschaftsverbands IndustriALL mit Sitz in Genf, dem in Russland eine ganze Reihe mitgliedsstarker Gewerkschaften angehören. In den vergangenen Jahren ist es ruhiger um MPRA geworden, wie um alle Gewerkschaften. Die Wirtschaftskrise, der steigende Druck auf Aktivisten seitens vieler Arbeitgeber und die Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes mahnen zur Zurückhaltung.

»Es handelt sich eindeutig um einen zielgerichteten Auftrag«, so die Einschätzung von KTR-Präsident Boris Krawtschenko zum jüngsten Vorfall. Erste Anzeichen gab es bereits im Mai 2017. Ein Blogger reichte Beschwerde gegen die MPRA bei der Staatsanwaltschaft ein. Deren weitere Ermittlungen richteten sich ausschließlich auf eine Liquidierung der gesamten Struktur, denn anders als bei vielen von scharfen Kontrollen betroffenen NGO unternahm die Justiz gar nicht erst den Versuch, die MPRA ins Register »ausländischen Agenten« aufzunehmen. Stattdessen konzentrierte sich das Gericht auf etliche »grobe Satzungsverstöße«.

Dazu zählt eine Unterschriftensammlung zur Änderung der Arbeitsgesetzgebung, die es privaten Arbeitgebern ermöglicht, eine Inflationsanpassung von Löhnen und Gehältern zu umgehen. Als politische Tätigkeit stufte das Gericht u.a. Solidaritätsbekundungen auf der Webseite für den Streik russischer Trucker 2015 ein. Bei der vermeintlichen Finanzierung durch die IndustriALL mit 2500 Euro ging es tatsächlich um eine Fortbildungsmaßnahme für MPRA-Mitglieder.

»Juristisch sind die Vorwürfe unhaltbar«, sagt Krawtschenko, der selbst bei der Verhandlung anwesend war, dem »nd«. Doch das Gericht ignorierte alle Einwände, Krawtschenko hofft dennoch, dass das Oberste Gericht in letzter Instanz das Urteil aufheben werde.

Die Initiative für den Prozess, vermutet er, gehe auf Personen zurück, deren ökonomische Interessen durch die MPRA beeinträchtigt wurden. »Namen nennen wir, wenn die Zeit reif ist.« So oder so setzt das jüngste Urteil neue Maßstäbe. Iwan Milych, Vorsitzender der Gewerkschaft Nowoprof, kennt bislang keinen vergleichbaren behördlichen Angriff auf offiziell registrierte Arbeitnehmervertretungen – »ein echter Präzedenzfall«.

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