• Kultur
  • Film zu Winston Churchill

Der aristokratischste aller Politiker

Im Filmdrama »Die dunkelste Stunde« schwört Winston Churchill die Bevölkerung auf »Blut, Schweiß und Tränen« ein

  • Caroline M. Buck
  • Lesedauer: 3 Min.

Churchill ist in Mode im britischen Kino des Brexit-Chaos - es bleibt nur die Frage: Ist das ein schlechtes oder ein sehr schlechtes Omen? Der Filmemacher Christopher Nolan beschränkte in seinem epischen Werk »Dunkirk«, in dem es um den Rückzug der nach dem Fall Frankreichs an der normannischen Küste massierten britischen Bodentruppen ging, die Präsenz Winston Churchills noch auf eine einzige Rede. Und die legte er einem einfachen Soldaten in den Mund. Nach der Rettung liest der Soldat sie aus der Zeitung vor: eine der drei legendären Reden Churchills aus dem Frühsommer 1940, für die der Kriegs-Premierminister in Großbritannien auch von der linksliberalen Presse heute noch gefeiert wird.

Jonathan Teplitzkys letztjähriger »Churchill«, mit Brian Cox in der Titelrolle, spielte am anderen Ende des Weltkriegs und präsentierte Churchill als depressiven Zweifler und Zauderer, den die Erinnerung an das Gemetzel von Gallipoli im Ersten Weltkrieg zur Opposition gegen die alliierte Landung in der Normandie bewegt. Und nun also der Sprung zurück, in »Die dunkelste Stunde«. Auch so ein Churchill-Wort aus einer Churchill-Rede, geprägt für die Zeit nach dem Fall Frankreichs, Belgiens und der Niederlande, als Großbritannien sich in Europa alleingelassen sah mit der Gegenwehr gegen Nazi-Deutschland.

Diesmal ist Gary Oldman - der Mann, der John Smiley, Joe Orton und Sid Vicious war - der Churchill-Darsteller hinter ziemlich viel Maske, und er macht das zur Verblüffung aller ausgesprochen gut, ein Schauspieler aus der Arbeiterklasse, der den aristokratischsten aller Politiker spielt. Stimme, Ton und Körpersprache sitzen, nur das Timbre der Stimme verlangte idealiter nach mehr Portwein und Zigarren.

Bei Teplitzky war, kurz vor der Landung der Alliierten in der Normandie, der Krieg ebenso wie der Premierminister am Ende. Bei Joe Wright, dem Regisseur dieses Films, ist Churchill noch nicht mal an der Macht, aber dass jemand den Nazis Paroli bieten muss, dass Chamberlain mit seiner Appeasement-Politik auf dem falschen Weg ist, weil sich mit Diktatoren nicht verhandeln lässt, das ist ihm (und anscheinend nur ihm) völlig klar. Bevor er aber das Land auf »Blut, Schweiß und Tränen« einschwören kann (auch das wird kommen, und man müsste die einstimmige Akklamation im Unterhaus einen klassischen Hollywood- Moment nennen, wenn er nicht so historisch wäre und so nachweislich britisch), muss erst mal die eigene Partei überzeugt, die politische Handlungsmacht gewonnen werden.

Auch bei Wright gibt es, wie schon bei Teplitzky, eine niedliche Privatsekretärin, der das exzentrische Treiben des neuen Chefs erst mal die Tränen in die Augen treibt und die ihm am Ende mit Inbrunst zur Seite steht. In beiden Filmen auch nicht unwichtig: Lady Churchill, Clemmie, Clementine, die starke Frau hinter dem voluminösen Mann, hier mit eisgrauen Locken, großer physischer Vertrautheit und einem beinharten Rückgrat gespielt von Kristin Scott Thomas. George VI., der »King’s Speech«-König mit dem politisch unvorteilhaften Stottern, sucht den Premierminister höchstpersönlich in dessen unaufgeräumter Kammer auf. (Ist der Minister depressiv oder schmollt der nur?)

Joe Wright, Regisseur einer mal mehr, mal weniger glücklich modernisierten Austen-Verfilmung (»Stolz und Vorurteil« mit Keira Knightley), einer einflussreichen Ian-McEwan-Adaption mit Dünkirchen-Szene (»Abbitte«) und einem phantasievollen, aber kommerziell desaströsen (Peter) »Pan«, hält die Kamera bewegt und die politischen Intrigen saftig. Dass er den Mann feiert, der in Gallipoli durch Inkompetenz und Hybris Zehntausende verlor, der das britische Empire für gottgegeben hielt und in jedem Arbeitskampf mit großer Überzeugung auf der falschen Seite stand - man wird es trotzdem keinen Augenblick vergessen.

Und die hochgradig artifizielle Szene in der U-Bahn, in der Churchill Volkes Mund in Gestalt einer ganzen Galerie von Pendlern begegnet, die hätten Wright und Drehbuchautor Anthony McCarten (»Die Entdeckung der Unendlichkeit«) sich auch besser sparen sollen.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal