SPD entscheidet über ihr Schicksal

Das Sondierungsergebnis lässt eine soziale Weichenstellung erkennen, meint Ursula Engelen-Kefer . Aber nur in der Opposition können die Defizite angegangen werden

  • Ursula Engelen-Kefer
  • Lesedauer: 3 Min.

Vor ihrem schicksalshaften Sonderparteitag am Sonntag steckt die SPD in der GroKo-Falle. Tritt sie in Koalitionsverhandlungen mit der Union ein, droht ihr weiterer Profilverlust. Verweigert sie sich, entzieht sie sich der Regierungsverantwortung und brüskiert ihre Mitglieder und Wähler. Mit der Duldung einer CDU/CSU-geführten Minderheitsregierung könnte sie ihr politisches Profil schärfen, jedoch um den hohen Preis einer ständigen Verzögerung des dringend erforderlichen politischen Handelns. Es bliebe dann wahrscheinlich nur die von Kanzlerin Angela Merkel angedrohte Alternative von Neuwahlen. Das würde insbesondere die SPD weiter schwächen.

Vordergründig geht es bei dem GroKo-Streit in der SPD um das Sondierungsergebnis, in Wirklichkeit aber um die Glaubwürdigkeit ihrer Spitze. Vor allem hat sie mit der Riester-Rente, den Hartz-Gesetzen und der Agendapolitik einen Großteil der sozialen Ungerechtigkeiten selbst verursacht. Diese sind bis heute trotz mehrfacher GroKo-Beteiligung nur unzureichend korrigiert. Die bitteren Konsequenzen für Millionen Arbeitnehmer sind prekäre Beschäftigung, Niedriglöhne sowie Armut im Alter. Auch noch so laute Rufe nach Nachbesserungen bei den Sondierungsergebnissen können die Spaltung in Gesellschaft und Partei nicht überdecken, geschweige denn überwinden.

Insgesamt lassen die Sondierungen einige soziale Weichenstellungen erkennen. Die Botschaft zur Wiederherstellung der Parität in der gesetzlichen Krankenversicherung steht an vorderer Stelle. Zwar ist die Einführung einer Bürgerversicherung längst überfällig. Nicht erkennbar ist jedoch, in und mit welcher parteipolitischen Konstellation dies überhaupt durchgesetzt werden könnte.

Gegenüber Jamaika sind die Rentenpläne einer möglichen GroKo ohne Zweifel ein Fortschritt. So wird die SPD-Position festgeschrieben, das Niveau nicht unter den gegenwärtigen Stand von 48 Prozent fallen zu lassen. Damit kann der soziale Abstieg im Alter zwar gemildert, aber nicht aufgehalten werden. Nach wie vor wird ausdrücklich das »Dreisäulenmodell« propagiert. Danach ist zusätzlich zur paritätisch finanzierten gesetzlichen eine private und/oder betriebliche Altersvorsorge aufzubauen - vor allem auf Kosten der Versicherten selbst. Dies wird die Altersarmut kaum bekämpfen, vielmehr der privaten Finanzbranche ein kräftiges Umsatzplus bescheren. Ein Schritt in die richtige Richtung sind die Vorschläge zur Einführung einer Lebensleistungsrente für Niedriglöhner, um sie vor dem Abstieg in die Armutsrente zu bewahren. Jedoch besteht die Gefahr, dass sie die wirklich Betroffenen, häufig Frauen, gar nicht in Anspruch nehmen können.

Überfällig sind die Vereinbarungen über die Regelungen bei der Einwanderung. Damit würde die seit Jahren stattfindende Zuwanderung endlich zur Normalität, sie könnte nach erforderlichen Qualifikationen gesteuert und vor allem durch die notwendigen beruflichen und gesellschaftlichen Integrationsleistungen erleichtert werden. Dies muss dann auch für die Eingliederung der Flüchtlinge gelten und könnte dazu beitragen, die Konflikte über Obergrenzen und Familiennachzug zu entschärfen.

Für den umstrittenen Anspruch auf ein Rückkehrrecht von Teilzeit auf Vollzeit konnte zumindest ein Einstieg vereinbart werden. Bedauerlich ist, dass die sachgrundlose Befristung von Arbeitsverhältnissen, die inzwischen gerade für junge Menschen beim Berufseinstieg ein Hemmnis darstellt, nicht aufgegriffen, geschweige denn zurückgeführt wird. Auch der Skandal von 7,4 Millionen Minijobs, davon zwei Drittel für Frauen, wird ignoriert. Die überfällige stärkere Besteuerung hoher Einkommen, Vermögen und Erbschaften bleibt wieder auf der Strecke.

In einer GroKo wird die SPD die sozialen Defizite nicht weiter angehen können. Das ginge nur in der Opposition, allerdings mit wenig Durchsetzungskraft. Deshalb ist der Parteitag am Sonntag auch eine Entscheidung darüber, ob die Partei wieder zu ihren Wurzeln zurückfindet. Notwendig ist es allemal.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal