Beamte sollen 60 Alarme ignoriert haben

Thüringen: Neue Details zum Ausbruch aus JVA Arnstadt

  • Sebastian Haak
  • Lesedauer: 3 Min.

Zum Ausbruch aus dem Jugendgefängnis im thüringischen Arnstadt Anfang Januar werden immer neue, unglaubliche Details bekannt. Mindestens ein Mitarbeiter des Gefängnisses soll in der Sicherheitszentrale der Anlage zahlreiche Sicherheitsalarme mehr oder weniger aktiv ignoriert haben, teilten Vertreter des Thüringer Justizministeriums in Erfurt während einer vertraulichen Sitzung des Justizausschusses des Landtags am Freitag den Abgeordneten mit. Insgesamt hätten die Sicherheitssysteme des Gefängnisses den Angaben des Ministeriums zufolge während des Ausbruchs etwa 60-mal Alarm geschlagen, hieß es aus Ausschusskreisen übereinstimmend.

Mehr als 30 dieser Alarme habe es alleine gegeben, während einer der Gefangenen mit einem Bolzenschneider den Sicherheitszaun durchtrennt habe, durch den die drei Häftlinge schließlich flohen - unter ihnen ein verurteilter Mörder. Anschließend hätten unter anderem Bewegungssensoren weitere Meldungen ausgelöst, als die Flüchtenden die Mauer der Anstalt überwanden - mit einem Seil, das leuchtend orangefarben gewesen sein soll. Auf keinen dieser Alarme sei im Gefängnis angemessen reagiert worden, hieß es.

Nach Angaben des Justizministeriums verschwinden solche Warnmeldungen nicht einfach von allein - unabhängig davon, ob die akustischen Signale der Alarmanlage leise gedreht sind, wie es zum Zeitpunkt der Flucht der Fall war. Letzteres war bereits vor Tagen bekannt geworden. Jede dieser Warnmeldungen werde auch auf einem großen Bildschirm in der Sicherheitszentrale des Gefängnisses angezeigt. Die Diensthabenden müssten sie sich dann näher anschauen. Sie können sie aber auch - ähnlich wie Systemmeldungen bei Fehlern auf Heim-Computern - »wegklicken«.

Nach bisherigen Erkenntnissen der Ermittler sollen die etwa 60 Alarmhinweise tatsächlich einfach »weggeklickt« worden sein. »Da ist komplett versagt worden im Herzstück der Kommandozentrale«, erklärte ein Mitglied des Ausschusses. Ein anderes Mitglied des Gremiums sagte: »Es ist einfach unvorstellbar, wie das passieren konnte.«

Den Ausschussmitgliedern waren während der vertraulichen Sitzung auch Videoaufnahmen gezeigt worden, auf denen unter anderem zu sehen ist, wie einer der drei Häftlinge in aller Ruhe mehr als 30-mal mit einem Bolzenschneider in den Zaun schneidet. Die Aufnahmen sollen sogar in HD-Qualität vorliegen.

Trotz dieser neuen Informationen sind aber noch immer einige Details zu den Umständen der Flucht unklar. So habe nach Angaben des Justizministeriums vor den Abgeordneten bislang nicht abschließend geklärt werden können, wie viele Beamte in der Sicherheitszentrale des Gefängnisses tatsächlich anwesend waren, als die Alarmanlage wegen des Ausbruchs so oft anschlug. Eine Mitarbeiterin, die dort als zweite Beamte hätte arbeiten sollen, habe sich vor Dienstbeginn krank gemeldet. Allerdings sei für sie eine Vertretung bestimmt worden. Ob diese Vertretung anwesend war, sei derzeit noch unklar - auch, weil einige der damals diensthabenden Beamten zu den Vorkommnissen bislang schwiegen. Gegen sie laufen wegen des Ausbruchs Disziplinarmaßnahmen.

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