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Die Ära Weinstein ist vorbei

Beim diesjährigen Sundance-Filmfestival standen starke Frauen im Mittelpunkt

  • Max Böhnel, Park City
  • Lesedauer: 6 Min.

Sonor und sexy wie eh und je klingt Robert Redford, wenn er das Mikrofon ergreift. Er trägt Lederjacke, darunter ein einfaches Hemd, Jeans und Wanderschuhe. Es ist der Eröffnungstag des Sundance-Filmfestivals in Park City (Utah). Wenn der mittlerweile 81-jährige Ex-Hollywoodstar Redford, der 1981 den Grundstein dieses Festivals legte, nun der versammelten Presse zu Protokoll gibt, dass in der Filmfabrik »Veränderungen unvermeidlich sind«, dass »Veränderungen Frauen mehr Möglichkeiten bringen werden« und »die Männer einfach mal den Mund halten und zuhören« sollten, dann unterstreicht er seine Coolness mit Klarheit. So manchen Jüngeren unter den Medienvertretern bleibt der Mund offen stehen. Redford wendet sich, ohne den Namen Trump zu nennen, auch direkt an die Presse. In Zeiten von »Fake News« und immer kürzer werdenden Nachrichten-Soundbytes steige der Wert von Dokumentarfilmen, sagt er.

Wenn »Bob«, wie ihn seine Freunde nennen, an diesem Januarnachmittag das Podium verlässt, dann ist dem »Sundance Kid« - in dieser Rolle begann Redford 1969 seine Karriere und daher hat das Festival seinen Namen - das hohe Alter anzumerken. Die Falten sind zu Furchen geworden. Seine Hände sind deutlich vom Alter gezeichnet. Er geht leicht nach vorne gebückt und hat Schwierigkeiten, die Balance zu halten.

Sundance gilt als das Mekka des Autorenkinos, das jenseits der großen Studios der Filmindustrie finanziert, produziert und vertrieben wird. Aber die Grenzen zwischen »kommerziell« à la Hollywood und »independent« à la Sundance waren noch nie deutlich gezogen. Robert Redford dachte sich Sundance ausdrücklich nicht als Alternative zu Hollywood, sondern als dessen Verlängerung und Ergänzung, nämlich als Einstieg für junge und alternative Filme, Schauspieler und Regisseure, die vom Mainstream nicht wahrgenommen werden.

Im Laufe der Jahre wurde das Festival zum Marktplatz für Hollywood-Moguln, die nach Park City einflogen, um für wenig Geld Filme einzukaufen. Auf Einkaufstour begab sich immer auch Harvey Weinstein. »Sex, Lies and Videotape« von Steven Soderbergh gehörte 1989 zu den Filmen, die hier Premiere feierten. Weinstein machte den Film zum bis dahin erfolgreichsten Independent-Produkt. Gleichzeitig richteten die großen Hollywoodstudios ihre eigenen »Independent«-Abteilungen ein.

Doch die Ära Weinstein ist vorbei. »Harvey is a moment in time«, sagte Redford denn auch mit Blick auf den Untergang des mächtigen Mannes, der wohl auch in Sundance sexuelle Übergriffe beging, weil es ihm seine Machtstellung erlaubte. Die Schauspielerin Rose McGowan war nach eigenen Angaben in den 1990er Jahren von ihm in einem Hotelzimmer in Park City vergewaltigt worden.

Weinstein stellt gleichzeitig ein auslaufendes Konsummodell dar: das des Einkäufers und Vertreibers von Kinofilmen. Auf den Big Deal sind seit einigen Jahren dagegen die Streamer von Netflix und Amazon aus. Mit prall gefüllten Koffern treiben sie die Konkurrenz vor sich her. Sie gehören nicht nur zu den Sponsoren von Sundance, sondern erwarben hier im vergangenen Jahr auch über ein Dutzend Filme. Der Einkaufswert entspricht einem Drittel aller ausgegebenen Sundance-Filmdollars. Weinstein hingegen kaufte hier letztes Jahr keinen einzigen Film.

Wer einmal in Los Angeles war, kann nachvollziehen, was Manohla Dargis, eine Filmkritikerin der »New York Times«, Anfang Januar über das Hollywood-System schrieb: Es sei »eine Industrie, deren Schmiere die Angst ist (was wiederum zum Schweigen führt) und deren Verkehrssprache der Tratsch ist - mancher bösartig, mancher als Ablenkung gemeint und mancher strategisch gedacht«. Sundance, keine zwei Flugstunden von Los Angeles entfernt, ist dagegen eine andere Welt.

Samstag, der erste Jahrestag der Amtsübernahme von Donald Trump. Heftige Schneefälle halten mehrere Hundert Frauen und Dutzende von Männern nicht davon ab, sich am hiesigen Ableger der US-weiten »Respect«-Demonstrationen zu beteiligen. Zwei Ikonen der US-amerikanischen Frauenbewegung, die nach Park City gereist sind, weil hier Dokumentarfilme über ihre Biografien zur Premiere kommen, haben sich unter die Menge gemischt. Die feministische Anwältin Gloria Allred, die seit vier Jahrzehnten Opfer von sexueller Gewalt und geschlechtlicher Diskriminierung vertritt, ruft zu »verstärktem Widerstand auf, vom Gerichtssaal über die Straßen bis zu den Wahlen«. Zu ihren bekanntesten Fällen in der jüngsten Zeit gehören 28 Frauen, die den Entertainer Bill Cosby verklagt haben. Außerdem vertritt die 75-jährige Kalifornierin drei Frauen, die Donald Trump sexuelle Übergriffe vorwerfen. Zur Premiere des Films »Seeing Allred«, der ihren Lebensweg nachzeichnet, erscheint sie standesgemäß ganz in Rot.

Bekannter als Gloria Allred ist weit über die Frauenbewegung und über Sundance hinaus Jane Fonda. »Wenn wir gleichberechtigt sind, werden wir nicht missbraucht«, ruft die 80-Jährige und reckt die Faust. »Dieser Wandel wird aber nicht durch bloßen Protest kommen. Er kommt durch Organisationsarbeit.«

Fonda macht seit einem halben Jahrhundert nationale Schlagzeilen - als Sexsymbol, Schauspielerin, Fitness-Guru und linke Aktivistin. Als sie ihren prominenten Status als gefeierte Hollywoodschauspielerin zum Protest gegen den Vietnamkrieg nutzte, die Antikriegsbewegung sowie die Black Panthers unterstützte, wurde sie zur Zielscheibe der Nixon-Regierung. Im Sommer 1972 reiste sie nach Nord-Vietnam und ließ sich lachend in einer Flugabwehrstellung der FNL, der Nationalen Front für die Befreiung Südvietnams, fotografieren - was ihr zu Hause den Schmähnamen »Hanoi Jane« und »Vaterlandsverräterin« einbrachte.

Wie die Doku »Jane Fonda in Five Acts« zeigt, ließ sie sich davon nicht abschrecken. Zwar bereut sie das missverständliche Foto. Aber ihre linke Organisationsarbeit - zusammen mit ihrem damaligen Ehemann Tom Hayden, seinerzeit Mitbegründer der Students for a Democratic Society - ging weiter. Einen Teil finanzierte das Paar mit der kommerziell erfolgreichsten Videokassette aller Zeiten »Jane Fonda’s Workout«, in der sie Aerobics-Übungen vorturnt - und damit einen Boom von Videospielen und -kassetten auslöste.

Im starken Dokumentarbereich des diesjährigen Sundance-Festivals finden sich weitere Frauenporträts. Neben den Punk-Modeikonen Vivian Westwood und Joan Jett hat sich auch Ruth Bader Ginsburg, eine 85-jährige Richterin am Obersten Gericht der USA, stundenlang filmen lassen. Die Anfangsbuchstaben ihres Namens »RBG« bilden den Filmtitel. Zur Premiere erzählt die klein gewachsene, schmächtige Frau mit der leisen Stimme, dass auch sie mehrmals Opfer sexueller Diskriminierung wurde. Einen Fall beschreibt sie: Als Studentin habe ihr ein Professor eine gute Prüfungsbenotung gegen Sex »angeboten«. Ginsburg war 1993 vom damaligen Präsidenten Bill Clinton zur Aufnahme in den Männerverein Oberstes Gericht nominiert worden. In den Senatsanhörungen argumentierte sie damals - bis dahin einzigartig - explizit für das Recht von Frauen auf Abtreibung. Sie wurde mit 96 gegen drei Stimmen angenommen.

Sundance handelt große Themen ebenso ab wie vermeintlich »kleine«, etwa die mit Lokalkolorit. Ein Sprung vom Wintersportort Park City hinunter nach Salt Lake City, der Hauptstadt des Mormonentums. Eine Viertelstunde vom riesigen Temple Square mit seiner mächtigen neugotischen Mormonenkirche entfernt, im Rose Wagner Performancing Arts Center, zeigen die Sundance-Veranstalter ebenfalls Filme. Das Theater ist seit Wochen ausverkauft. Denn der Dokumentarfilm, der hier zu sehen ist, befasst sich mit der Aids-Krise in Utah in den 1980er Jahren. Damals hetzten auch Mormonenführer gegen Schwule und Lesben, deren »unmoralischen Lebensstil« sie zur Ursache für die Krankheit machten. »Quiet Heroes« zeichnet dagegen die mühsame, teilweis illegale Arbeit zweier Ärztinnen nach, die sich aus humanitären und medizinischen Gründen um die Infizierten kümmerten und zahlreiche Leben retteten. Als diese Ärztinnen, Kristen Ries und Maggie Snyder, nach dem Ende der Dokumentation die Theaterbühne betreten, erhebt sich die versammelte LGBT-Gemeinde. Viele haben Tränen in den Augen. Sundance hat dazu beigetragen, dass eine wichtige Geschichte nicht in Vergessenheit gerät. »Auch die Mormonen produzieren Schwule und Lesben«, sagt mein Sitznachbar lächelnd und ergänzt, »ich bin einer davon«.

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