Sehende und Verblendete

Woher kommt das Bestreben, die Leistungen von Künstlern der DDR zu relativieren?

  • Harald Kretzschmar
  • Lesedauer: 6 Min.

Die Ausstellung »Hinter der Maske - Künstler in der DDR« ist unter großer Anteilnahme eines bereitwillig zahlenden und intensiv engagierten Publikums am Sonntag zu Ende gegangen. Da ist es wohl angebracht, einige Beobachtungen und Schlussfolgerungen hinterherzuschicken. Woher das enorme Interesse? Man muss wahrlich kein Freund von gigantische Besucherzahlen anlockenden Ausstellungsprojekten sein, um sich das zu fragen. Meist beruht das auf überdimensioniertem Werberummel. In unserem Fall war ein nennenswertes Medienecho auf zwei regionale Zeitungen begrenzt. Extrem hilflos die Öffentlichkeitsarbeit: In den TV-Kulturmagazinen reagierte man so gut wie gar nicht. Wenn in der »FAZ« Camilla Blechen statt Eduard Beaukamp urteilt, ist das eher abschreckend. Meldungen auf Nullachtfuffzehn-Niveau, Rezensionen eher teilnahmslos, alte Freunde schwiegen.

Das Palais Barberini in Potsdam war Ort des Ereignisses. Neben dem Landtagsschloss kraft moderner Bautechnik wiederauferstanden, ist die allgemeine Neugier auf den von Hasso Plattner inspirierten Bau nach zwei erfolgreich absolvierten ersten Ausstellungen bereits abgeflaut. Es ist in seiner Struktur bestens angenommen. Nein, nur selten hat in letzter Zeit etwas durch Weitersagen von Mund zu Mund so große Resonanz gefunden. Ganze Familien mit Kindern wagten es, dorthin zu wallfahrten. Erstaunlich, wie viel Menschen sich für Jahreskarten und die Reservierung einer Führung entschieden oder wer extra Umwege bei längeren Reisen einlegte, um ja nicht das Ereignis zu verpassen. Um sich dann in die bis zur Schmerzgrenze gehende Fülle der Besuchermassen hineinzudrücken. Wer die Augen aufmachte, kommentierte das Betrachtete durch zustimmendes Nicken und ablehnendes Kopfschütteln - wodurch wurden diese beiden Reaktionen ausgelöst? Je nachdem. Meist nickte man zu den Bildern und schüttelte den Kopf zu den mitgelieferten Kommentaren.

Die zwingende Notwendigkeit, Zusammenhänge zu erklären, ergab sich in diesem Fall zwei Besucherkategorien gegenüber: Den Jüngeren, die zur Entstehungszeit der ausgestellten Kunst noch nicht lebten. Und all denen westwärts, welche von dieser Kunst nie berührt wurden, aber seltsame Irrtümer dazu konservierten. Kurz: Junge und Drübige sind verschieden unwissend.

Aber siehe da, die Zeit ist günstig für ein gesteigertes Interesse an ihr. Am besten beraten waren im Grunde jene, die auf langatmige Erklärungen pfiffen und sich ihren eigenen Reim darauf machten. Denn wenn eines klar wurde, dann, wie lästig die ständige Überbetonung des konkreten politischen Kontextes dieser Kunst inzwischen ist. Ihr Wert war ja fast dahinter verschwunden. Wer die einst herrschende Ideologie miterlebt und überwunden hat, weiß es zehnmal besser. Und wer nicht, dem hängt diese Art Überbetonung erst recht zum Hals heraus.

Das Kuratorenduo Hortolani/Philipp bewegte sich also auf ideologisch kontaminiertem Gelände. Kurzentschlossen wählten sie Exponate nach künstlerischen Gesichtspunkten aus. Menschen in sensibel sublimierter Selbstdarstellung. Wie schön. Wie selbstverständlich. Fast hätte es geklappt, und endlich einmal hätte der aus der Bildkunst fast schon ausgetriebene menschliche Faktor allein wirken können. Aber: Das kommt aus der DDR. Das Dogma sagt: Das ist das Alleinstellungsmerkmal. Schreckliches Wort. Selbst wenn alle Schöpfer nun seit gut drei Jahrzehnten Bundesbürger sind, sie werden das nicht los. Selbst angesehene Künstler verwahren sich vergeblich dagegen. Gesamtdeutsche Kunstgeschichte? Das setzt voraus, dass sie beide ehemals verfeindete Seiten gleichberechtigt schreiben. Wo sind die aussagefähigen Insider-Experten geblieben? Wo hören und lesen wir ihre Schüler, wo die in der ureigenen Tradition beheimateten Nachfolger? Wo finden wir staatliche Forschungsaufträge dazu? Vielleicht sucht man einmal in den fehlenden Gehaltslisten des Prekariats. Radikal gefragt: Brauchen wir inzwischen so etwas Lächerliches wie eine Ossi-Quote?

2003 waren wir schon so weit, dass mit dieser Kunst von Anfang an bis heute verbundene Experten wie Roland März, Fritz Jacobi und andere diese in der Neuen Nationalgalerie Berlin ohne ein Bevormunden überzeugend vorstellten. Eine vor hochrangiger Prominenz nahezu berstende theoretische Konferenz in Neuhardenberg bestätigte verständnisvoll ihr Konzept. Für die staatlichen Museen der alten Bundesländer blieb das völlig folgenlos. An der offiziellen Kunstgeschichtsschreibung hat sich kein Jota geändert. Die Sammlung Ludwig wurde aus Oberhausen über die Mauer in den Köpfen nach Leipzig zurückgeworfen.

Inseln der Ausstellungspraxis fallen auf: Gisbert Porstmann und Bernd Heise in Dresdens Städtischen Galerien blieben ihrer Herkunft treu, während die Dominas der Staatlichen Kunstsammlungen fremdbestimmt auftreten. Das in dieser Beziehung zum Glück neutrale Frankreich bescherte uns Ulrike Kremeier. Das Dieselkraftwerk Cottbus wurde eine Topadresse, seitdem sie prachtvolle Neusichten auf diese Kunst initiierte. Ihr Horizont ist so weit, dass sie sagen kann: »Mich nerven diese Ost-West-Kategorien unendlich.« Und sie weiß davon, welchen Anteil dieselben Künstler schon allein mit dem, was sie jetzt schaffen, an dem gegenwärtigen Kunstgeschehen haben. Und wie ihnen gegenüber mit staatlichen Aufträgen gegeizt wird. Kein Mensch redete darüber, als 2001 Trak Wendisch der Ausnahmegewinner eines Wettbewerbs des Auswärtigen Amtes wurde. Just das Motiv des von ihm 1984 gemalten Seiltänzers, gerade groß plakatiert für »Hinter der Maske«, wandelte er ins Gegenwärtige in das plastisch modellierte Seiltänzerpaar. Der Obere und der Untere, fest miteinander verbunden, schwebend über dem Areal weltweiten Agierens. Welche Metapher.

Diese Auswahl hier war überzeugend. Was wird mit lediglich aus den Ateliers ausgeliehenen Werken? Fanden sie das Interesse des inspirierenden Großsammlers? Ist das Echo für ihn relevant? Springt irgendein Funke über? Oder bleibt alles im Ghetto des Sonderfalls? Die beiden Kuratoren meinen unerschütterlich, alles textlich richtig interpretiert zu haben. Sie sind von unserer emotionalen Anteilnahme verwirrt. Die Wut fanatischer Regimegegner auf die Bilder aus dem »Palast der Republik« verunsicherte sie. In Podiumsgesprächen sprachen die Kuratoren jedoch nur mit Gegnern ihrer Auswahl. Die wie Uwe Kolbe und Lutz Dammbeck damit provozierten, dass sie sich die Ausstellung gar nicht ansahen. Worauf lief denn die so mutige Revolte der einst Jungen hinaus? Sie endete mit dem Verschwinden des attackierten Staatsgebildes.

Es ist doch kein Zufall, dass mich ununterbrochen Menschen ansprechen und einzig daran Anstoß nehmen, was ihnen (und eben den anderen) hier ununterbrochen haarklein erklärt wird. Jede anerkennenswerte künstlerische Qualität als Widerstandstat gegen einen verhassten Staat zu feiern, ist lebensfremd. Woher nur dieses zwanghafte Bestreben, dem als feindlich angesehenen Milieu jegliche innovativ schöpferische Kraft abzusprechen und seine künstlerischen Leistungen aus einer einseitig verzerrten Perspektive zu relativieren?

Die Sehenden und die Verblendeten - wie haben sich doch die Verhältnisse verkehrt. Der pedantisch erhobene Zeigefinger des Parteisekretärs reklamierte einst ununterbrochen die führende Rolle der Arbeiterklasse. Der des heute bestellten Neudeuters klagt ständig eine imaginäre Freiheit der Kunst ein. Freiheit wovon?

Wir sollten darüber nachdenken, welcher Schaden immer wieder mit den überzogenen Pauschalabfertigungen ganzer Lebensbereiche angerichtet wird. Kunstimpulse kritisch begleiten, ja. Denkschablonen verpassen, nein. Valerie Hortolani hat den gefährlichsten Satz in dieser Richtung formuliert: »Geschichtsschreibung funktioniert nicht so, dass jemand Lebenserfahrungen aus einer Epoche mitbringen muss.« Die da so sensibel Kunstwerke ausgewählt hat, will die die Lebenden, Schöpfer dieser Werke, ausschließen? Meint sie im Ernst, dafür auserlesen zu sein, deren Geschichte allein kompetent zu interpretieren?

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