Ein Dealer muss kein Gefährder sein

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 2 Min.

Der Fall erinnerte an den Weihnachtsmarkt-Attentäter Anis Amri: Ein Jahr nach dem Anschlag auf dem Breitscheidplatz soll die Polizei einem Bericht der rbb-Abendschau zufolge einen ausreisepflichtigen Gefährder nach dessen Festnahme wieder laufen gelassen haben. Der als Islamist bekannte Tunesier sei Mitte Dezember wegen Drogenhandels festgenommen worden, hieß es in dem Fernsehbeitrag am Dienstagabend. Die Berliner Polizei widerspricht am Mittwoch in einer Stellungnahme vehement: »Die genannte Person ist weder in Berlin noch in einem anderen Bundesland als Gefährder eingestuft. Die ausländerrechtliche Zuständigkeit lag und liegt allein in Sachsen.«

Laut Polizei wurde der Mann am 3. Dezember 2017 als Verdächtiger zu einem unerlaubten Handel mit Rauschgift in Berlin festgestellt, nachdem er einem Polizisten in Zivil Drogen zum Kauf angeboten hatte. Der Verdächtige sei zur Identitätsfeststellung in Gewahrsam genommen, heißt es in der Stellungnahme. »Trotz diverser Aliaspersonalien« gelang dies schließlich dank einer sogenannten Fast-ID-Behandlung, so die Polizei.

Da bei nur geringen aufgefundenen Mengen Rauschgift und feststehenden Personalien »grundsätzlich kein Haftbefehl in der Strafsache zu erwarten« sei, sei der Mann im Anschluss wieder entlassen worden. »Zudem lagen weder ein Haftbeschluss noch Fahndungen zur Festnahme der Person durch die sächsischen Behörden vor.«

Unabhängig davon betrieb die Ausländerbehörde in Sachsen die Abschiebung des Mannes, ein entsprechender Beschluss sei beim Amtsgericht Tiergarten am 26. Januar 2018 ergangen. »Bei dieser vorläufigen und eilbedürftigen Entscheidung, die nur auf einen schriftlichen Antrag hin erfolgte, wurde offenbar der Begriff ›Gefährder‹ verwendet, ohne dass polizeiliche Erkenntnisse für diese Einstufung vorlagen«, so die Polizei.

Die behördliche Klassifizierung einer Person als Gefährder sei an sich kein Haftgrund, erklärt Hakan Taş, Innenexperte der Linksfraktion. Es müsste von ihr schon eine konkrete Gefahr ausgehen.

Der ebenfalls ausreisepflichtige Tunesier Amri hatte bei dem Anschlag auf dem Breitscheidplatz am 19. Dezember 2016 zwölf Menschen getötet und rund 70 weitere verletzt. Er war den Behörden als islamistischer Gefährder bekannt und hatte vor den Augen der Berliner Polizei mit Drogen gehandelt. Dennoch war kein Haftbefehl angestrengt worden. Auch eine mögliche Abschiebung Amris war von den Behörden im Bund und Nordrhein-Westfalens versäumt worden.

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