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Bus und Tram nicht mehr sprachlos

Pilotprojekt zu barrierefreien BVG-Fahrzeugen für Blinde und Sehbehinderte

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 3 Min.

Großer Bahnhof im Betriebshof Lichtenberg der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) am Montagvormittag. Zwei Senatorinnen sowie BVG-Chefin Sigrid Nikutta sind gekommen, um den Start des Pilotprojekts »sprechende Haltestelle« zu verkünden. Kommenden Montag soll es auf der Straßenbahnlinie M4 sowie der Buslinie 186 losgehen.

Drei verschiedene Lösungen sollen ein Jahr lang getestet werden. Da ist zunächst die sogenannte sprechende Haltestelle: Ein Kasten, wie er an Drückampeln üblich ist, verrät auf Knopfdruck, in wie vielen Minuten welche Straßenbahnlinie ankommen wird und teilt dann auch noch mit, wenn der Zug einfährt.

Eine weitere Option ist das sprechende Fahrzeug. »Das Außenblech des Busses funktioniert dabei wie eine Lautsprechermembran«, erklärt Nikutta. Die Lautstärke der Ansage ist bei der Vorführung so dezent, dass sie nur wenige Meter vom Fahrzeug entfernt von den Umgebungsgeräuschen übertönt wird.

Die dritte Lösung ist eine App für Smartphones. Sie teilt Blinden oder Sehbehinderten per Sprachausgabe mit, wann die gewünschte Linie einfahren soll und auch, wenn das Fahrzeug tatsächlich eingetroffen ist.

»Dieser Test bettet sich in unsere Bemühungen an, einen barrierefreien Nahverkehr anzubieten«, sagt Verkehrssenatorin Regine Günther (parteilos, für Grüne). Dafür müsse er »selbstbestimmt und spontan« nutzbar sein, also ohne fremde Hilfe und langwierige Vorbereitungen. Zwei Millionen Euro lässt sich die Senatsverwaltung den Versuch kosten.

Es ist auch höchste Zeit. Bis Silvester 2021 muss laut Personenbeförderungsgesetz der Nahverkehr barrierefrei werden. »Wir müssen endlich umsetzen, was seit vielen Jahren diskutiert wird«, sagt auch Sozialsenatorin Elke Breitenbach (LINKE). Tatsächlich startete bereits 2012 der erste Pilotversuch mit »sprechenden Haltestellen«. Doch nach dessen Ende passierte nichts, unter anderem wegen Finanzierungsfragen.

»Barrierefreiheit gehört nach der Behindertenrechtskonvention zu den Menschenrechten«, sagt Manfred Scharbach, Geschäftsführer des Allgemeinen Blinden- und Sehbehindertenvereins Berlin (ABSV).

Jens Wieseke, Sprecher des Berliner Fahrgastverbands IGEB, präferiert eine technische Lösung per App. Für Scharbach steht eine Lösung im Vordergrund, die ohne Hilfsmittel zu nutzen ist: »Seine Ohren hat man immer dabei.« Angesichts von rund 8000 Bus- und Straßenbahnhaltestellen in der Hauptstadt hält er nur eine fahrzeuggebundene Variante für realistisch. »Kein Mensch käme auf die Idee, die teuren Zielanzeiger für Sehende durch eine App zu ersetzen«, sagt Scharbach.

Einig sind sich die beiden, dass auch der behindertengerechte Umbau der Haltestellen dringend schneller vorankommen muss. Mit speziellen Bordsteinen können Busse so nah an den Bürgersteig fahren, dass nur noch ein kleiner Spalt zu überbrücken ist, Riffelplatten markieren für Sehbehinderte die erste Tür. Dafür sind die Bezirke zuständig. »Da hat sich kein Bezirk bisher besonders hervorgetan«, beklagt Scharbach. Bis 2022 muss auch das geschafft sein.

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