Polens Regierung reagiert auf Ärzteproteste

Morawiecki: »Modernisierung des Gesundheitssystems genieße höchste Priorität« / Ärzte setzen Stillen Protest fort

  • Wojciech Osinski, Warschau
  • Lesedauer: 3 Min.

Nach monatelangem Streit mit der polnischen Regierung um eine Erhöhung der Gesundheitsausgaben haben Vertreter des medizinischen Nachwuchses Fortschritte begrüßt. »Endlich gibt es konkrete Vorschläge«, freute sich Jarosław Biliński, der Vorsitzende des Verbands Polnischer Assistenzärzte (OZZL). Ende vergangener Woche wurden nach einem mehrstündigen Gespräch mit dem Gesundheitsminister Lukasz Szumowski erste Einigungen erzielt.

Erhöht werden vor allem auch die Arztgehälter. Folglich sollen die Ausgaben für das polnische Gesundheitswesen bis 2024 von derzeit 4,7 auf 6 Prozent des BIP angehoben werden. Somit korrigiert der seit einem Monat amtierende Szumowski den Zeitplan seines Vorgängers. Der im Januar abgelöste Konstanty Radziwiłł hatte kurz vor seiner Entlassung angekündigt, dass dieses Ziel erst ein Jahr später erreicht werden sollte.

Die seit Jahren andauernden Proteste haben sich im Laufe des Jahres 2017 intensiviert, nachdem mehrere Assistenzärzte nach Mehrfachschichten wegen Überarbeitung plötzlich verstorben waren. Leidtragende seien insbesondere auch Patienten, die auf ihre Behandlungen warten müssen, so Biliński. Wie Szumowski signalisierte, würden auch sie die raschere Aufstockung der Gesundheitsausgaben in den nächsten Wochen zu spüren bekommen. Doch mussten sich die Nachwuchsärzte in den Gesprächen mit dem Gesundheitsminister auch einige Zugeständnisse abtrotzen lassen. Eine Erhöhung ihrer Gehälter erfordert, dass sie nach ihrer Facharztausbildung mindestens zwei Jahre in Polen arbeiten. Damit soll die massive Abwanderung polnischer Ärzte nach Westeuropa eingedämmt werden. Nach Angaben der hiesigen Ärztekammer (NIL) haben bereits mehr als 30 000 Personen aus dem Medizin- und Pflegebereich Polen verlassen.

Derzeit verdienen Medizinabsolventen im ersten Berufsjahr selten mehr als 700 Euro. »Wenn die Arztgehälter aufgestockt werden, haben die Assistenzärzte keinerlei Gründe, um auszuwandern. Sie wollen in Polen arbeiten, jedoch unter menschenwürdigen Bedingungen«, betont der NIL-Vorsitzende, Maciej Hamankiewicz.

Der Hungerstreik der Nachwuchsärzte im Oktober 2017 hatte internationale Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Dieser galt zwar zuletzt offiziell als beendet, doch haben tausende Mediziner seit Jahresbeginn ihren stillen Protest auf andere Bereiche verlagert. Nach dem Treffen im Gesundheitsministerium hatte sich auch Regierungschef Mateusz Morawiecki zu dem neuen Zeitplan der Gesundheitsreform geäußert. Die Modernisierung des Gesundheitssystems genieße höchste Priorität, so der Premier.

Besonders in der Onkologie gibt es immensen Optimierungsbedarf. An der Weichsel ist es längst ein offenes Geheimnis, dass Polen mit anderen Ländern wie USA, Deutschland und Großbritannien nicht Schritt halten kann. Sogar das Ergebnis des »kleinen« Nachbarn Slowakei fällt unterm Strich besser aus. »Die Mängel im Gesundheitswesen sind auch auf organisatorische Aspekte zurückzuführen«, meint Jan Walewski, Direktor des Warschauer Zentrums für Onkologie. Darunter leide nicht zuletzt die Krebsprävention. Nicht von ungefähr werden Karzinome in Polen in späteren Stadien entdeckt als in Westeuropa. Probleme gibt es auch mit der Finanzierung von Arzneimitteln. Die Stiftung Alivia hat herausgefunden, dass polnische Patienten zu 50 Prozent der in deutschen Apotheken erhältlichen Medikamenten keinen Zugang hätten. Statistisch gesehen erkrankt jeder vierte Pole an Krebs, wobei mindestens 40 Prozent der Fälle allein auf einen Lebensstil zurückzuführen seien, der noch an die »vodkaseelenreichen« Tage der Volksrepublik gemahnt. Wie dem auch sei: unter den geringen Ausgaben leidet ebenso die Prophylaxe. Bisher gab Polen für sein Gesundheitssystem ca. 20 Milliarden Euro aus. Ein Wert, der das Land innerhalb der EU auf den 24. Rang zurückwirft.

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