Nach dem Prinzip einer Kommune

Die Tanzfabrik feiert ganzjährig ihren 40. Geburtstag. Los geht’s am Wochenende mit den »Open Spaces«

  • Volkmar Draeger
  • Lesedauer: 4 Min.

Eine Institution wird 40: die Tanzfabrik Berlin, als Ort der Produktion, Aufführung, Forschung und Lehre und seit Anbeginn auch der Vorbildwirkung in die Welt hinaus. Zwei, die jener Fabrik, in der Tanz verfertigt wird, eng verbunden sind, geben uns Auskunft: Claudia Feest als ehemalige Leiterin und Ludger Orlok als heutiger Geschäftsführer.

Keiner der Initiatoren, erinnert sich Claudia Feest, hätte bei Gründung ein Jahrzehnt nach den Studentenprotesten solchen Erfolg erwartet. Programmhaft bunt war das Quartett, das eine alte Fabriketage in einem Hoftrakt an der Möckernstraße nahe dem Viktoriapark zu erschwinglichem Quadratmeterpreis angemietet hatte. Bei einem Assistenten von Mary Wigman hatte in den USA die Religionswissenschaftlerin Christine Vilardo studiert. Sie und der Sportstudent Reinhard Krätzig wurden künstlerischer Motor, der Wigman-Schüler Helmut Kugel und der Musiker Horst Zinsmeister schlossen sich ihnen an, bauten jene Etage handwerklich aus und tänzerisch auf.

Selbsterfahrung, Improvisation, Wigman-Nachklang waren Schwerpunkte, bis weitere Enthusiasten zum Team stießen und ihr Können einbrachten: Jacalyn Carley den Modern Dance, die Folkwang-Absolventin Heidrun Vielhauer das Tanztheater. Zwischen diesen Polen entwickelten sich in hitzigen Debatten um ästhetisch-stilistische Linien Werkstattabende, in denen sich ausprobieren durfte, wer den kollektiven Segen erhielt. Technik zu präsentieren rivalisierte mit dem Wunsch, Bewegung von innen heraus in den Raum fluten zu lassen, sagt Claudia Feest. Geld war nicht da, von öffentlicher Förderung damals noch ganz zu schweigen. Neues im Gegensatz zum Theatertanz und inspiriert von ähnlichen Experimenten in New York sollte entstehen nach dem Prinzip einer Kommune: gemeinsam leben und arbeiten.

»Unsere Hochphase hatten wir zwischen 1985 und 1995«, glaubt Claudia Feest. Dieter Heitkamp war da zur Tanzfabrik gekommen, Biologe wie auch Feest, bald ein herausragender Choreograf. Bis heute wirken viele Produktionen im Theater am Halleschen Ufer nach. Meist hatten sie ein Thema, etwa Texte des Untergrundpoeten Reinhard Gehret, die Grotesktänzerin Valeska Gert, Erzählungen von Dürrenmatt oder Hesse, Gemälde von Yves Klein. Feest setzte sich mit der Figur der Medea auseinander, baute in ein Stück sogar einen Chromosomentanz ein; Carley zeigte anregenden Text-Tanz. Internationale Gastspiele popularisierten die Ideen der Tanzfabrik.

Es gab aber zu viele Ideen für zu wenig Finanzierung, sinniert Feest, zumal der Kultursenat seine mittlerweile gewährten Mittel um 40 Prozent kürzte. Vielhauer wanderte mit der halben Truppe nach Bremen ab, Carley zog sich aus dem aktiven Leitungstripel mit Feest und Heitkamp zurück, Heitkamp unterrichtete oft in Frankfurt am Main. Ein Umbruch stand an: Claudia Feest wurde alleinige Leiterin, förderte Christoph Winkler, Ingo Reulecke, Tino Sehgal, Xavier Le Roy, Christina Ciupke - die Tanzfabrik als Podium und Probenzentrum für junge Choreografen. Vielfalt war Claudia Feests Anliegen. Aus der Gala zum 20. Geburtstag der Tanzfabrik in der Akademie der Künste entstand die biennal ausgerichtete Tanznacht. Nach 25 Jahren Tanzfabrik, Ende 2003, ging Feest zum Pilotprojekt Hochschulübergreifendes Zentrum Tanz, eine Ära neigte sich.

Nicht jedoch für die Tanzfabrik. Auf Eva-Maria Hoerster folgte 2008 Ludger Orlok, Humanmediziner und Psychologe, nach einer Ausbildung in München ab 1997 Tänzer in der Tanzfabrik, seit einem Jahrzehnt nun ihr künstlerischer Geschäftsführer. Die pädagogische Seite im Objekt Möckernstraße betreut Gisela Müller, Vorstellungen aber finden jetzt in eigenen Studios auf dem Gelände der Uferstudios statt.

Die Arbeitsweise sei schon ähnlich geblieben, schätzt Orlok ein, »vielleicht sind wir weniger streitfreudig, dafür pragmatischer und effizienter: Wir arbeiten kuratorisch, wollen Ermöglicher künstlerischer Entwicklungen sein, sind europäisch vernetzt, können wieder Koproduktionen teilfinanzieren.« So gab es 2016 19 Premieren, 2017 noch zwölf, bis 20 pro Jahr sind zukünftig denkbar.

Was kann der Theaterraum heute sein? Was bewegt den Raum? Das sind Fragen, die Orlok bewegen. Er will Theatermechanismen auf den Kopf stellen. Die Liste der assoziierten Künstler ist lang, und doch scheint es häufig um Ästhetisierung und Nabelschau zu gehen, verglichen mit den zupackenden Themen der »alten« Tanzfabrik.

Mit einem Programm aus Performances, Gesprächen, Lectures und Works in Progress leitet das Format »Open Spaces« das Jubiläumsjahr ein, zahlreiche Aktivitäten folgen. Glückwunsch und: vorwärts ins halbe Jahrhundert!

Open Spaces1, vom 17. bis zum 25. Februar in den Uferstudios, Uferstr. 23, Wedding.

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