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Ein besonderer Blick auf Räume

Erfurter Galerie präsentiert Arbeiten der Leipziger Künstler Hans-Christian Schink und Jörg Ernert

  • Doris Weilandt, Erfurt
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Szenerie wirkt wie der Aufbau für einen surrealistischen Film: eine glatte Wasseroberfläche eingerahmt von heller Jugendstilarchitektur. Wie in einer verkehrten Welt erheben sich darüber mächtige ionische Säulen, die die Decke stützen. Das Bad ist menschenleer. Das Bild stammt aus einer Serie zu Leipziger Bädern, die Hans-Christian Schink 1988 aufnahm. Erstmalig arbeitete da der damalige Fotografie-Student mit einer Großformatkamera, der Linhof Technika. An der Hochschule für Grafik und Buchkunst (HGB) gab es nur ein Exem-plar, das lange vorgebucht werden musste. Um sicherzugehen, dass er sie nutzen konnte, wählte Schink als Genre Innenaufnahmen - und entdeckte, dass die Arbeitsweise seinem eigentlichen Wollen entsprach. Die Kamera gestattete ihm, die Komposition genau zu berechnen.

Arbeiten von Schink (Jahrgang 1961) sind derzeit in der Galerie Rothamel in Erfurt zu sehen. »Obwohl mir nach den ersten Tagen klar war, dass dies die Arbeitsweise sein würde, die mir am meisten entspricht, habe ich bis zum Ende der DDR nicht daran geglaubt, jemals eine professionelle Großformatkamera zu besitzen«, erzählt Schink. »Seither sind in mehr als dreißig Ländern Aufnahmen mit dieser inzwischen auch schon anachronistisch scheinenden Technik entstanden.«

Bis ins kleinste Detail ist die Aufnahme brillant. Mit der feinsinnigen Ästhetik und dem präzisen Einsatz von Licht - im unteren Teil des Bades die hell erleuchtete Bühne, im oberen Teil gruftartige Kühle - hat der Fotograf seine eigene Bildsprache gefunden. Mit der Serie »Leipziger Bäder« erweist er sich aber auch als Chronist der späten DDR. Der Charme, den diese historischen Badehallen ausstrahlen, ist morbid. Hinter den Kulissen, in den Räumen mit den Wannenbädern, ist der Verfall bereits weit fortgeschritten.

Mit Leipziger Innenräumen beschäftigt sich auch der Künstler Jörg Ernert (Jahrgang 1974), der derzeit ebenfalls in der Erfurter Galerie Rothamel ausstellt. Über Monate zeichnete er auf den Bühnen des Leipziger Opernhauses und versuchte, die Verwandlung dieser gewaltigen Dimensionen zu erfassen. Im Atelier entstand daraus die Serie »Stage Door«, die in der Erfurter Galerie zu sehen ist. Mit dem Titel ist der Blickpunkt des Künstlers beschrieben. Er beobachtet das Geschehen von hinten oder aus der Vogelperspektive, um die unendliche Weite des Bühnenraums sinnlich erfahrbar zu machen.

Als Voyeur schaut Ernert zu, wie Kulissen gebaut und Räume durch Licht verändert werden. Vorhänge öffnen sich und schließen ab, nichts ist fest, alles ist in Bewegung, fragil und nur für kurze Zeit existent. Bei jedem Stück verändert sich das in sich geschlossene System, erwacht zu neuer Lebendigkeit. Die Menschen, die in diesem Raum arbeiten - als Schauspieler, Musiker, Techniker - wirken klein und nur für den Moment präsent. In vielen Farben leuchten die Szenerien, als Momentaufnahme einer Situation.

Für Jörg Ernert, der Meisterschüler bei Sighard Gille war und seit 2012 die Professur für Malerei, Zeichnung und Komposition an der HGB Leipzig innehat, ist es nicht die erste langfristige Auseinandersetzung mit Innenräumen. Vor der Arbeit im Opernhaus hat er sich mit einer Kletterhalle beschäftigt. Auch daraus entstand eine vielteilige Bildserie, bei der sich die Vielgestaltigkeit durch die Farbe erschließt. In der Serie »Stage Door« verändert sich der Blick auf diesen Mikrokosmos, der in sich geschlossen ist. Ernert zeigt eine große faszinierende Weltbühne, bei der es vor allem auf eines ankommt: auf das innere Leuchten der Farben.

Die Doppelausstellung ist noch bis zum 17. März in der Galerie Rothamel in Erfurt, Kleine Arche 1a, zu sehen. Di bis Fr 13-18 Uhr, Sa 11-16 Uhr; Tel. 0361-5623396; www.rothamel.de

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