Antitürkisches Bündnis in Nordsyrien

Die wiederbelebte Zweckehe zwischen Damaskus und der Kurdenbewegung hat eine lange Vorgeschichte

  • Roland Etzel
  • Lesedauer: 5 Min.

Syrische Truppen und mit ihnen verbündete Milizen kämpfen seit dieser Woche Seite an Seite gegen die türkische Invasion im Landesnorden und das jetzt auch ganz offiziell. Die kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) teilten am Dienstag laut AFP mit, dass Damaskus auf «ihre Einladung hin» militärische Einheiten geschickt« habe. Sie sollten Stellung an der Grenze zur Türkei beziehen, um sich »an der Verteidigung der territorialen Einheit Syriens und seiner Grenze zu beteiligen«.

Das ist durchaus bemerkenswert. Die kurdische Minderheit in Syrien und die Regierung in Damaskus hatten in den vergangenen Jahren ein sehr unterkühltes Verhältnis. Das war, nicht wie sonst zumeist in diesem Umfeld, kein Dissens in Fragen der Religion. Im Gegenteil. Die Mehrzahl der Kurden ist zwar islamisch geprägt, praktiziert aber, wenn überhaupt, dann einen sehr gemäßigten Sunnismus. Da Syrien bis zum Ausbruch des Krieges als das Land im Nahen Osten mit der am weitesten gehenden Religionsfreiheit galt, gab es hier keine Probleme.

Der Störfaktor war schon damals, in der zweiten Hälfte der 90er Jahre, die Türkei. In deren Südosten führte die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) einen Guerilla-Krieg für nationale, soziale und kulturelle Rechte der Kurden. Der syrische Präsident Hafez al-Assad, Vater des heutigen Staatschefs, hatte der PKK unter ihrem Führer Abdullah Öcalan die kurdischen Siedlungsgebiete in Syrien, die ja alle in Grenznähe zur Türkei liegen, als Ausbildungs- und Rückzugsgebiet überlassen.

Auch in Libanon, in dem Syrien seinerzeit eine militärische Präsenz als Schutzmacht besaß, durfte die PKK in der Bekaa-Ebene ihre Kämpfer militärisch ausbilden, ohne vom libanesischen Staat dabei kontrolliert zu werden. Öcalan selbst residierte in Damaskus. Sein Aktionsradius im Ausland war schon damals begrenzt, denn auf Drängen Ankaras war 1990 von der Bundesregierung ein internationaler Haftbefehl gegen ihn erlassen worden. Die PKK war so mit ihrem libanesisch-syrischen Hinterland für die türkische Armee als militärische Größe nicht ausschaltbar. Das wollte Ankara auf Dauer nicht hinnehmen. Darin waren sich die führenden Parteien der Türkei, vor allem die seinerzeit als Staat im Staate übermächtige Armeeführung, einig.

Unter der Regierung von Ministerpräsident Bülent Ecevit von der sozialdemokratisch angehauchten Republikanischen Volkspartei wurde der syrischen Staatsführung ein Ultimatum gestellt. Sollte Syrien die gegen die Türkei gerichteten Aktivitäten im Lande nicht unterbinden, wurden von Ankara militärische Schritte angedroht. Und - beinahe noch schlimmer - Ecevit ließ darüber spekulieren, man könne auch den Wasserfluss des von der Türkei nach Syrien verlaufenden Euphrat so einschränken, dass es für die Wassergewinnung und Stromerzeugung in Syrien dramatische Folgen habe könnte.

Das war im Sommer 1998, und, nachdem sich kein einziger NATO-Staat, vor allem nicht die USA, zur Kriegsrhetorik ihre Bündnispartnerin Türkei öffentlich äußerte, entschied sich Syriens Staatschef Assad, dem Druck nachzugeben. Dann ging alles recht schnell. Am 9. September jenes Jahres musste Öcalan mit seiner Entourage seinen Aufenthaltsort in Syrien verlassen; Offiziell auch die PKK-Kampfformationen. Und auch in Libanon war kein Platz mehr für sie.

Öcalan versuchte daraufhin, in Europa Asyl zu finden, aber keiner wollte ihn. Als er in Rom war, ließ ihn die italienische Regierung auf Grund des noch immer vorliegenden deutschen Haftbefehls festnehmen, doch Berlin schien das wenig recht gewesen zu sein. Deutschland und andere Staaten mit starker kurdischer Diaspora fürchteten kurdische Straßenproteste, wenn sie Öcalan festsetzten und andererseits türkische Zornesausbrüche, wenn sie Asyl gewährten. So wurde ein Mensch hin- und hergeschoben wie eine heiße Kartoffel. Öcalan war per Flugzeug mehr in der Luft als am Boden, flüchtete sich schließlich nach Afrika.

In Kenias Hauptstadt Nairobi konferierte er weiter mit Diplomaten. Dort wurde er am 16. Februar 1999 vom türkischen Geheimdienst auf offener Straße gekidnappt, unter Drogen gesetzt und, vom kenianischen Staat unbehelligt, per Flugzeug in die Türkei entführt. Dort wurde er vier Monate später er zum Tode verurteilt. Auf Druck der EU wurde er nicht hingerichtet, sitzt aber seit dem als türkischer Staatsfeind Nr. 1 auf der Gefängnisinsel Imrali ein.

Als mit Beginn des innersyrischen Krieges die Staatsautoritäten mehr und mehr zerfielen, begannen auch die Kurden in ihren Siedlungsgebieten im Landesnorden, wieder militärisch aktiv zu werden. Zum einen war die syrische Armee in höchster Bedrängnis an allen möglichen Kriegsschauplätzen und nicht mehr in der Lage, die Kurden unter Kontrolle zu halten. Zum anderen mussten sich die Kurden gegen aus der Türkei anrückende islamistische Milizen verteidigen. Dabei ging es um ihre Existenz, und zum Verdruss der Führung in Ankara schafften es ihre YPG-Einheiten, die Islamisten zu besiegen.

Unterstützung erfuhren sie - auch dies zum großen Ärger der Türkei - von den USA, die so hofften, eine starke Figur gegen Damaskus auf dem Schachbrett des syrischen Krieges in die Hand zu bekommen. Auch das scheint aber schon wieder der Vergangenheit anzugehören, sieht es doch so aus, als ließen die USA die Kurden wieder fallen, um es sich nicht mit der Türkei zu verderben.

So ist es nur folgerichtig, dass den Kurden die syrische Führung wieder als natürlich Verbündete zuwächst - bzw. umgekehrt. Die Türkei reagierte auf ihre Weise: Ankara warnte am Mittwoch, dass es alle Unterstützer der YPG in Afrin als »legitimes Ziel« betrachten werde. Präsidentensprecher Ibrahim Kalin sagte, wer die YPG unterstütze, werde genauso wie die »Terrororganisation« behandelt. Kalin bezog sich damit besonders auf die regierungstreuen syrischen Truppen, die seit dem Vortag versuchen, der YPG zu Hilfe zu kommen.

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