Hohe Kunst aus Banalem und Alltäglichem

Die Berlinische Galerie ruft das bildnerische Werk von Eduardo Paolozzi in Erinnerung

  • Klaus Hammer
  • Lesedauer: 5 Min.

Die Entwicklung Eduardo Paolozzis, des schottischen Künstlers italienischer Herkunft, war durch einen zweijährigen Paris-Aufenthalt 1947 - 1949 geprägt worden. Hier kam er in Kontakt mit Vertretern der Moderne wie Giacometti, Tristan Tzara, Braque und Léger - und damit auch mit dem Surrealismus - und setzte sich mit der Art Brut Dubuffets, jener »rohen« Kunst gesellschaftlicher Außenseiter, auseinander. Die Arbeit an Collagen aus Illustrierten und Prospekten, die er seit den 1950er Jahren im Siebdruckverfahren vervielfältigte, machten ihn dann zu einem Mitbegründer der englischen Pop Art. Sein bildhauerisches Werk zeigt unter Verwendung von Schrott und Fundstücken neben hochwertigen Materialien sowohl die Beschäftigung mit der menschlichen Form - vor allem Köpfe und Porträts - als auch die Faszination moderner Maschinenästhetik. Den Wechsel vom Maschinenzeitalter hin zur modernen Informationsgesellschaft hat der 2005 verstorbene Künstler aber nicht mehr mit vollzogen. Das mag vielleicht auch der Grund dafür gewesen sein, dass dieser so innovative Künstler weitgehend aus dem Bewusstsein der Öffentlichkeit verschwunden ist.

Im Anschluss an eine von der Whitechapel Gallery in London konzipierte Retrospektive zeigt jetzt die Berlinische Galerie die experimentellen Schaffensphasen des Künstlers der 1950er bis 1970er Jahre, wobei das »Berlin-Kapitel« - Paolozzi verbrachte 1974 als Gast des Deutschen Akademischen Austauschdienstes ein Jahr in West-Berlin und erhielt anschließend in der Nationalgalerie und im Kupferstichkabinett eine Retrospektive - eine besondere Rolle spielt. Seine - heute nicht mehr existierende - Gestaltung einer Hausfassade in der Kurfürstenstraße wird hier ebenso berücksichtigt wie die Grafikserie »The Ravel Suite« (1974), die den subtilen Charakter der Musik Ravels widerspiegelt, und andere Werke, die in seinem damaligen Studio am Kottbusser Damm in Kreuzberg entstanden sind.

Immer wieder hat Paolozzi seinen Stil und seine Technik gewechselt, aber am Prinzip der Collage, aus unterschiedlichen Teilen und Materialien ein kompositorisches Ganzes zusammenzufügen, hat er zeitlebens festgehalten. Wie kann aus der Kombination von Banalem und Alltäglichem, von »hoher Kunst« und armseligem Material, von organischer Struktur und standardisierter Form etwas Neues, Irritierendes, Komplexes, ja sogar Tiefgründiges hervorgehen? Wie gelingt es, aus Abfällen vielschichtige Metaphern zu entwickeln? Die Dialektik von Formzerstörung und Gestaltfindung, von Unmittelbarkeit und Kalkül prägt hier ein reiches bildnerisches Werk, in dessen Mittelpunkt die Frage nach der Bestimmung des Menschen steht.

Die frühen Collagen waren noch zusammengesetzt aus beliebig multiplizierbaren Illustrationen der Massenmedien. Paolozzi benutzte eine Zeitschriftenabbildung über die drahtlose Kommunikation, die Biografie eines Komponisten oder den Katalog der griechischen Skulpturen im Britischen Museum und fügte diese ungewöhnlichen Elemente in einem neuen Kontext zusammen. Aus dem scheinbar Wider- oder vielleicht sogar Unsinnigen entstand eine verblüffend neue Bildidee.

Auch die Reproduktionen, die er dann 1972 nach diesen Collagen herstellte, erhielten aufgrund des aufwändigen Faksimileverfahrens Unikatcharakter. Unter dem Titel »Bunk« reproduzierte er frühe Collagen und trieb ein seltsames Spiel mit den Realitätsebenen. Der Siebdruck diente ihm nun nicht mehr als Medium, mit dem Vorlagen verändert, neu definiert und frei interpretiert werden können, sondern ausschließlich als reproduktives Instrumentarium. Später suchte er die Collage der Serigrafie als Vorlage zu nutzen: Das einmalige Bild, das Original wurde durch Umzeichnung, Auflösung in Linienmuster, Zerschneiden, Versetzen von Bildelementen und eine neue Farbigkeit von aller Bindung an die einzelnen Sujets befreit. Damit gewannen seine Bilder an gestalterischer Variabilität und Multiplizierbarkeit.

In den Skulpturen der 1950er Jahre ist das Zusammenspiel menschlicher und mechanischer Teile das durchgängige Thema. Verschiedene Maschinenteile entsprechen den Körperpartien, so das Maschinen-»Hirn« und das Kurbelwellen-»Rückgrat«. In späteren Varianten drücken Maschinenteile auch Gesichtszüge aus. Das sind »brutalistische« Skulpturen - so hat man sie genannt -, anthropomorphe Figuren wie »St. Sebastian I«, die Märtyrer- und Heldenfigur der Renaissance, »Cyklops« (beide 1957) oder »His Majesty the Wheel« (1958/59, alle Bronze), die vielfältige Assoziationen auslösen. Sie lassen an Science-Fiction-Monster, an Golem- und Maschinen-Menschen, an ausgebrannte Roboter denken, deren technisches Eingeweide zu bizarren Formen zerschmolzen ist. Erschreckende Abbilder des Menschen, Skulpturen, die durch eine Neudefinition diesen Abfallprodukten auch mythische Qualitäten verleihen und so die Umwertung des sonst wertlosen Objet trouvé bewirken.

Auf ähnliche Weise hat sich Paolozzi für seine Aluminium- und Stahlskulpturen der 1960er Jahre einen Bilder-Fundus aus Maschinenelementen aufgebaut, indem er technisch vorgefertigte Teile zusammengetragen hat. Während die Skulpturen der 1950er Jahre eindeutig geprägt sind von der Auseinandersetzung mit dem Bild des zerstörten Menschen, verwandelt er jetzt seine Figuren in kantig aufragende technische Stelen und Türme, die aus Reihung und Kombination geometrischer Maschinenteile konstruiert werden. »Town Tower« (1962, Eisen, Messing und Bronze) besteht aus einem pfeilerartigen Podest mit rechteckigem Block und aufgesetzten konisch-symmetrischen Säulenformen - jedes handwerkliche Moment ist hier weggelassen. Diese Repräsentationsbauten einer wachstumsgläubigen Welt sind bedrohlich, abweisend, hermetisch. Paolozzis Skulpturen sind jetzt mächtige technische Stelen, raumgreifende symmetrische Blöcke. Aus plastischen Einheiten, aus vorfabrizierten, technisch bestimmten Aluminiumteilen wird die Skulptur »Parrot« (1964, Aluminium) konstruiert.

Ob es sich nun um die zwei- oder dreidimensionalen Werke Paolozzis handelt, sie ergeben - mögen ihre einzelnen Elemente noch so einfach erscheinen - in ihrem Zusammenhang doch ein kompliziertes Gebilde von großer visueller Vielfalt.

»Eduardo Paolozzi. Lots of Pictures - Lots of Fun«, bis zum 28. Mai in der Berlinischen Galerie, Alte Jakobstraße 124 - 128, Kreuzberg

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