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Twitter als Machtverstärker

Polizeibehörden nutzen verstärkt soziale Medien zur Öffentlichkeitsarbeit - Journalisten und Forscher warnen vor politischem Missbrauch

  • Sebastian Bähr
  • Lesedauer: 3 Min.
Deutsche Polizeidienststellen melden sich immer häufiger in sozialen Netzwerken zu Wort. Sie begleiten in Echtzeit Demonstrationen und warnen vor Amokläufen, zeigen Hundefotos oder Auszubildendenporträts. Die Regelungen, unter denen diese Öffentlichkeitsarbeit stattfindet, sind jedoch je nach Dienstelle und Bundesland - wenn überhaupt vorhanden - sehr unterschiedlich. Die politische Kommunikation kann darüber hinaus öffentliche Debatten beeinflussen.

Der Bürgerrechts-Blog »Netzpolitik.org« hatte jüngst für eine Untersuchung rund 100 offizielle Twitterkonten von deutschen Polizeibehörden und etwa 163 000 Tweets analysiert. »Mit ihrer starken Präsenz auf Twitter zeigen die Polizeien, dass sie im Internet nicht nur die breite Masse erreichen - sie wollen auch gezielt den öffentlichen Diskurs beeinflussen«, erklären die Redakteure Markus Reuter, Alexander Fanta und Marie Bröckling zur Medienauswahl. Unterstützt wurde die Recherche von dem Datenjournalisten und Medienwissenschaftler Luca Hammer.

Laut der Untersuchung griff die Polizei erstmals 2015 in größerem Maße auf Twitter zurück - während der Proteste gegen die Europäische Zentralbank in Frankfurt am Main. »Im Gegensatz zu früheren Protesten konnte die Polizei mit Tweets direkt in die bis dahin ohne sie stattfindende Debatte einsteigen und an Deutungshoheit über die Ereignisse gewinnen«, schreiben die Redakteure. Im folgenden Jahr haben dann zahlreiche weitere Polizeibehörden begonnen, Twitter zu benutzen. Aktuell sollen es laut dem Kriminologen Thomas-Gabriel Rüdiger rund 300 offizielle Kanäle sein.

Inhaltlich bekamen laut der Analyse vor allem Tweets eine hohe Reichweite, die über Amokläufe und Terrorangriffe berichteten. Verbreitet waren auch emotional gehaltene Meldungen über angegriffene Polizisten, Dankesworte an Beamte für ihren Einsatz oder auch dankende Worte an Bürger, die Polizisten versorgten. Beiträge über Tiere gehörten ebenfalls zum Standardrepertoire. »Neben Terror, Tränen und Tieren sind Polizeien mit Tipps und Hinweisen erfolgreich«, so die Redakteure.

Wem die Profile folgten oder was sie schrieben, das wurde indes sehr unterschiedlich gehandhabt. »Wenig einheitlich ist derzeit noch die Alltagspraxis«, so die Bewertung.

»Die Daten zeichnen das Bild einer Polizei, die gelernt hat, breitenwirksam zu kommunizieren und dabei mehr oder weniger subtil Emotionen einzusetzen«, fassen die Journalisten die Ergebnisse in ihrem Fazit zusammen. Die Beamten hätten damit eine »von Presseportalen unabhängige Plattform« geschaffen. Diese sei letztlich ein »Machtverstärker«. »Ungeklärt sind Fragen der Neutralität, Verletzungen der Sachlichkeit und Sorgfaltspflicht im schnelllebigen Gebrauch des Mediums«, warnen die Redakteure.

Im Bezug auf die Hamburger G20-Proteste des vergangenen Juli hatte bereits der Sozialwissenschaftler Peter Ullrich gegenüber »nd« auf Gefahren hingewiesen: »Die Polizei genießt traditionell einen sehr hohen Stellenwert in der Bevölkerung und auch in den Medien. In der Regel wird ihre Sicht der Dinge von Medien erst mal übernommen, wenn es nicht starke Hinweise darauf gibt, dass diese zu hinterfragen ist.«

Doch Falschmeldungen kommen immer wieder vor. Während des Hamburger G20-Gipfels berichtete die Polizei beispielsweise, dass Beamte mit Molotowcocktails angegriffen wurden - obwohl dies laut einem Brandschutzexperten offenkundig nicht den Tatsachen entsprach. »Solche behördlichen Fake-News auf Twitter fallen insbesondere im Zusammenhang mit (linken) politischen Protesten auf«, erklärt Markus Reuter. »Im Raum steht die Möglichkeit, dass die Polizei die Tweets als politisches Mittel und als Rechtfertigungsgrund für spätere Maßnahmen nutzt.«

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