Nicht immer sexy, aber immer neugierig

»Die Schönheit der großen Stadt« - eine opulente Malereischau im Ephraim-Palais

  • Anita Wünschmann
  • Lesedauer: 5 Min.

Rainer Fettings Potsdamer-Platz-Vision aus den Neunzigern eröffnet die Ausstellung im Ephraim-Palais. Ein großer Bogen mit fast 200 Werken Stadtmalerei von über 90 Berliner Künstlern wird hier aufgeblättert. Adolf Menzel, Lyonel Feininger dabei, Ernst Ludwig Kirchner, Oscar Nerlinger, Hans Balluschek und Max Beckmann. Dann Harald Metzkes, und überhaupt sehr schön vertreten die »Berliner Schule« mit den drei Böttchers und Lothar Böhme. Dazu der »Lichterforscher« Hans Vent und Wolfgang Frankenstein. Von Nuria Quevedo das Bildnis einer Narva-Arbeiterin. Die Großgörschener aus der gleichnamigen Galerie mit der Hausnummer 35 im einstigen Westberlin mit ihren hyperrealistischen, oft simultanen Bilderfindungen sind ebenfalls zu sehen; Richard Sorge etwa oder mit dem sehr aktuell wirkenden Titel »Der Himmel über Berlin ist versilbert« (1973) Karl Horst Hödicke. Von Eduard Gaertner aus dem Spätbiedermeier bis in die Anfänge der 2000er Jahre wird die Stadt in Augenschein genommen.

Draußen tobt der Verkehr, brodeln die Debatten, schwenken die Kräne ihre Lasten, und drinnen im Palais? Dort beschaut man das Abbild der Metropole, erlebt den Abglanz, Dunkelheit, Dächerlandschaft, geteilte Stadt und Kiez. Bei Fetting, der einst zu den jungen Wilden des Westens gehörte, beschaut man die große Grünbrache, am Horizont, Altbauten und Hochhäuser, rote Kräne und Fernsehturm. Links im Bild wie hingehuscht das Kulturforum mit Philharmonie, ein paar Ockerfetzen. Für den heutigen Betrachter ist es ein Rückblick auf die Vision von gestern. So schnell geht die Zeit! Berlin wandelt sich nicht gemächlich. Vielmehr wird ständig aufgerissen, ausgeweidet, implantiert, zugenäht. Schönes geschaffen und Hässliches.

Allerdings stellt sich trotz mannigfaltiger stadträumlicher Wiederentdeckungen, trotz der Atelierfensterblicke und Dächerlandschaften, der Kirchen, Brücken, Gleisanlagen und Gasometer (von Lyonel Feininger und von Rolf Lindemann), trotz der malerischen Vielfalt zwar Staunen, selten aber Beglückung oder Leichtigkeit ein. Weil aus allem Distanz spricht? Das 20. Jahrhundert als ein langer Schatten, besonders sichtbar in der geteilten und dann wiedervereinten Stadt? »Guten Morgen Berlin/ Du kannst so hässlich sein.« (2008), heißt es ja nicht zufällig im bis heute populären Song von Peter Fox.

Allerdings ist das Motto der Ausstellung antithetisch: »Die Schönheit der großen Stadt«. Der Titel ist dem gleichnamigen Buch von August Endell (1871 - 1925) entlehnt. Der Architekt und Philosoph, der die Jugendstilfassade im ersten der Hackeschen Höfe entworfen hat, schrieb 1908: »Es ist das Erstaunliche, dass die große Stadt trotz aller hässlichen Gebäude, trotz des Lärms, trotz allem, was man an ihr tadeln kann, dem der sehen will, ein Wunder ist an Schönheit und Poesie.« Das rein »praktische Sehen« sollte mit der didaktischen Schrift überwunden werden. Den Künstlern fiele die Aufgabe zu, »Augenmenschen« zu erziehen und damit eine breitere Sensibilisierung für »das Ideale«. Sein Diktum von damals gilt auch jetzt: »Nur wer den Rhythmus der heutigen Stadt fühlt, kann eine Stadt bauen, so, wie wir sie brauchen.«

Nicht zum ersten Mal, aber selten in dieser Fülle werden Werke aus der reichhaltigen Sammlung des Berliner Hauses vorgestellt. Dazu Leihgaben unter anderem aus der Berlinischen Galerie, der Nationalgalerie. Dominik Bartmann, langjähriger Museumsdirektor des Stadtmuseums Berlin, hat viel aufgeboten für seinen Abschied, der dem Anfang ähnelt: 1973 arrangierte er sein Debüt im damaligen Berlin-Museum im Westteil der Stadt. Der amtierende Museumschef Paul Spies unterstützte die Neusichtung, die allein schon durch die Zusammenschau von Künstlern aus Ost und West, zudem durch eine nicht-chronologische, sondern thematische Hängung herbeigeführt wurde. Letztere hilft zur Orientierung, hat aber den Charme eines Registers. »Die stille Stadt«, »Menschen in der Stadt«, »Geschichtslandschaften«, »Unter bleichem Himmel«, auch »Die zerrissene Stadt«.

Überraschend ist die Mischung. Konrad Knebel setzte subtil, wie ein stiller Chronist, den hellen Beton mit Wachturm ins Bild von der Skarlitzer Straße, deren Fensterraster und Gebäudestruktur das Bild bestimmen, derweil die Dramatik der Straße in der Zeit des Kalten Krieges als Konnotation, zumindest als Textbeigabe mitschwingt. Es begegnen sich Klaus Killischs »Mann vor Mauer« und Trak Wendischs Kofferfigur - ein ikonische Zeichen für die 1980er Jahre.

Andere Kunstzentren - Paris, New York, aber auch Dresden - geben sich als Wahlverwandtschaft zu erkennen, Berlin dagegen als ein kultureller Schmelzigel, nicht immer sexy, aber immer neugierig. Spätimpressionistisch flirrt der »Savignyplatz mit Stadtbahnbrücke«, 1911/12 von Curt Herrmann gemalt. Das Licht der Stadt kann furchtbar düster und schwer lastend sein. In anderen Werken fließt es in pastoser Helligkeit (Harald Metzkes »Knaackstraße im Morgenlicht«, 1974). Funkelndes Dunkel bei Lesser Ury. Die Farben der Stadt finden flüchtigen Widerhall auf der Leinwand oder werden zu Formen verdichtet (Lothar Böhme).

En passsant entsteht auch die Zeitachse: Am Anfang der Fluss, bald Spreeathen. Dann Imposanz, große Geste, die Droschken-, später die Autostadt, Ausdehnung. Maßlosigkeit. Krieg verzerrt das Antlitz der Metropole und ihre innere Beschaffenheit (Carl Hofer »Ruinennacht«, 1947). Als ein stabiles Muster wiederholen sich Brandmauern, Fensterhöhlen, Anschnitte, Leere, Masse, Gewusel oder Einsamkeit. Wolfgang Peuker sieht 1995 »Wetterleuchten« und inszeniert mit NS-Fragmenten einen Albtraum, der an de Chirico erinnert. Im Katalog steht: »Hassliebe, Schmähung, Zweifel, so erging es Berlin, seit der Aufklärung.« Das hat sich geändert. Hat es sich geändert?

Ephraim-Palais, Poststraße 16, Mitte;

bis 26. August 2018

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal