Immun gegen Argumente?

Von Iris Rapoport, Boston und Berlin

  • Lesedauer: 3 Min.

Zwei Flecken, pfenniggroß, verblassen auf meiner Schulter. Sie erinnern an eine Pockenimpfung in Kindheitstagen. Solche Impfmale bleiben heutigen Generationen erspart, denn die Gefahr, sich mit dieser entstellenden, oft sogar tödlichen Krankheit zu infizieren, ist seit 1980 weltweit gebannt.

Krankheiten durch Impfung auszurotten, ist nicht in jedem Fall möglich. Es kann nur gelingen, wenn der Erreger ausschließlich von Mensch zu Mensch übertragen wird. Die Grippe gehört leider nicht dazu. Sehr wohl aber Kinderlähmung und Masern. Die könnten schon längst vom Erdball verschwunden sein.

Doch gerade Masernepidemien sind vor allem in Entwicklungsländern in Afrika und Südostasien immer noch Realität. Sie sind die Hauptursache für jene Todesfälle bei Kindern, die durch Impfung vermeidbar wären. Mehr als 95 Prozent der Bevölkerung müssen dazu geimpft sein. Erst dann wird »Herdenimmunität« erreicht. Dann sind auch jene geschützt, die nicht geimpft werden können: Kinder, die jünger als ein Jahr sind, und all jene, deren Immunsystem gestört Ist. Dieses Ziel wurde bereits in weiten Regionen erreicht. Sogar der ganze amerikanische Kontinent gehört dazu. Doch in Deutschland ist die Hoffnung darauf vorerst zerronnen, hier sind Masern wieder im Vormarsch. Die sogenannte Durchimpfungsrate nach wie vor ist zu gering.

Das Masern-Virus hat wohl erst vor gut 1000 Jahren den Weg zum Menschen gefunden. Es ist, so vermutet man, aus einem Rinderpestvirus entstanden. Im Mittelalter waren Masern zeitweilig mehr gefürchtet als Pocken. Diese Furcht scheint geschwunden - obwohl das Virus wie eh und je hochinfektiös ist und die Krankheit weiterhin nicht ursächlich behandelbar.

Gewiss, ein winziges Restrisiko bleibt bei jeder Impfung - wie bei allem im Leben. Und kurzzeitige Nebenwirkungen - Fieber, Rötungen, Schmerzen - sind nicht auszuschließen. Doch warum nur paart sich bei einigen Eltern Angst vor dem vergleichsweise ungefährlichen Impfstoff mit erstaunlicher Unterschätzung der Gefahren der schlimmen Erkrankung? Ob diese Sicht wohl bei den entstellenden Pocken dieselbe wäre? Fürchten diese Eltern vielleicht die dem Impfstoff zugesetzten Adjuvantien? Jene Stoffe, die dem abgeschwächten Erreger beigefügt werden müssen, damit ein ausreichender Impfschutz erreicht wird? Zumeist sind dies Stoffe, mit denen wir auch sonst in Berührung kommen. Ihr Zusatz liegt weit unter dem, was als schädigend gilt. Oder vertrauen diese Eltern vielleicht lieber den Fantasien selbsternannter »Experten«? Vertrauen denen mehr als der Kompetenz der Impffachleute, mehr als der Weltgesundheitsorganisation, die Masern bis 2020 endlich besiegen möchte? Denn erst dann bliebe zukünftigen Generationen nicht nur die Impfung gegen Pocken, sondern auch die gegen Masern erspart. Diese Chance sollten wir nicht leichtfertig verspielen!

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