Polen protestieren gegen strenges Abtreibungsrecht

Zehntausende wenden sich gegen Pläne der PiS-Regierung und von Lebensschützern

  • Natalie Skrzypczak
  • Lesedauer: 4 Min.

Wieder gehen polnische Frauen gegen strengere Abtreibungsgesetze auf die Straße: »Wer nicht gebärt, soll nicht bestimmen«, skandieren Zehntausende Polen bei einer Demonstration für legale Schwangerschaftsabbrüche am Freitagabend in Warschau. Bei dem sogenannten »schwarzen Protest« ziehen sie in dunkler Kleidung vor die Zentrale der Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS).

Denn die nationalkonservativen Regierenden treiben schon zum zweiten Mal in ihrer Amtszeit Verschärfungen des strengen Abtreibungsrechts voran. Ein Parlamentsausschuss stimmte für weitere Beratungen über den umstrittenen Gesetzestext, der die Abtreibung von Föten wegen Missbildungen oder einer erwarteten Behinderung verbieten soll. Er stammt aus der Feder der Pro-Life-Bewegung »Stoppt Abtreibungen«.

»Wir sind wütend«, empört sich darüber eine extra angereiste Demonstrantin. »Das ist doch krank, dass wir zum Sterben verurteile Kinder zur Welt bringen sollen.« Um das zu verhindern, riefen Frauenrechtsorganisationen und NGOs zu landesweiten Protesten auf. »Fundamentalisten wollen der Gesellschaft ein Abtreibungsverbot aufzwingen«, kritisiert das Bündnis für Frauenrechte und Familienplanung Federa. Das Warschauer Rathaus schätzt die Zahl der Protestierenden auf 55 000. Auch Männer marschieren mit. »Wir müssen uns mit unseren Frauen solidarisieren«, sagt ein junger Pole.

Die Aktivisten sorgen sich, denn die mit absoluter Mehrheit regierende PiS will die Gesetzesverschärfung unterstützen. »Die PiS war, ist und wird immer dafür sein, Leben zu schützen«, teilte die Partei mit, die der katholischen Kirche nahe steht.

Der Schutz ungeborenen Lebens hat für Abtreibungsgegner Priorität. »Es ist ein unmenschliches Verbrechen, das in Polen an unschuldigen Kindern verübt wird, nur weil sie unter Verdacht stehen, krank oder behindert zu sein«, kritisiert Kaja Godek von der Bewegung »Stoppt Abtreibungen« die jetzigen Gesetze.

Die Abtreibungsgegner in Polen sind Umfragen zufolge mit nur 11 Prozent in der Minderheit. Die meisten Polen befürworten laut einer Studie des Meinungsforschungsinstitut SW Research vom Januar eine Lockerung der Gesetze. Entsprechende Gesetzesinitiativen lehnte das Warschauer Parlament aber bereits ab. Ein Kompromiss wäre für viele (etwa 25 Prozent), es bei den derzeitigen Gesetzen zu belassen.

Polen hat europaweit die mitunter strengsten Regelungen. In dem katholisch geprägten Land sind Schwangerschaftsabbrüche nur erlaubt, wenn die Frau vergewaltigt wurde oder ihr Leben in Gefahr ist - und bislang auch, wenn das Kind eine schwere Behinderung haben wird.

Regierungsangaben zufolge werden in Polen jährlich bis zu 1000 Schwangerschaften mit einer Abtreibung beendet. Die Dunkelziffer schätzen Frauenrechtlerinnen sogar auf bis zu 150.000 Fälle. »Eine legale Abtreibung ist schon jetzt kaum möglich«, sagt Federa-Aktivistin Liliana Regala. Viele Mediziner würden den Eingriff verweigern. Zu groß sei ihre Angst, ins Visier von Ermittlern zu geraten oder Zielscheibe der Proteste von Abtreibungsgegnern zu werden.

Strengere Gesetze würden die Situation verschlimmern, meinen Oppositionspolitiker. Die Initiative der Pro-Life-Gegner werde Frauen leiden lassen, nicht aber die Zahl der Abtreibungen senken, sagt Monika Wielichowska von der Bürgerplattform PO. »Ihr quält Frauen«, wirft sie der PiS vor. Sie sagt: »Dazu hat kein Politiker das Recht.«

Die Kirche argumentiert anders: »Frauen sollten in der Gesellschaft großen Respekt erfahren und sie haben das Recht, über ihr Leben zu entscheiden - aber nicht auf Kosten des Lebens eines unschuldigen Kindes«, sagt der Sprecher der polnischen Bischofskonferenz Paweł Rytel-Andrianik. Auch unter dem neuen Gesetz hätten Frauen eine Wahl. Sie könnten sich demnach zur Adoption entscheiden. »Niemand zwingt sie dazu, das Kind großzuziehen«, meint der Geistliche.

Federa-Aktivistinnen halten dagegen: »Wenn wir den Zugang zur Abtreibung weiter einschränken, verurteilen wir Frauen und ihre Familien zu riesigem Leid.« Die Organisation warnt vor den Folgen der Geburt eines schwer kranken oder gar zum Sterben verurteilten Kindes für die Psyche der Frauen. Sie verweist auch auf Risiken, die illegale Schwangerschaftsabbrüche bergen. Vor allem ärmere Frauen griffen oft auf Hausmittel zurück und setzten ihr Leben aufs Spiel. Der Kleiderbügel ist eines der Symbole ihres Protests.

Die Demonstranten wollen die Gesetzesverschärfung nun aufhalten. »Wir müssen die Fanatiker stoppen«, rufen sie. Dass die PiS bereits 2016 überraschend von einem Abtreibungsverbot abrückte, lässt sie hoffen. Damals gingen Zehntausende Menschen auf die Straße, um sich gegen ein umstrittenes Gesetz zu wehren, das sogar Haftstrafen für Frauen und Ärzte vorsah. Offenbar wurden der PiS die möglichen Auswirkungen auf die Wählergunst zu riskant.

Auch jetzt sagte der zuständige Parlamentsausschuss nach Ausbruch der Debatte seine Sitzungen vorerst ab. Die Protest-Organisatoren geben trotzdem nicht nach. Frauen müssten selbst über ihr Leben entscheiden, bekräftigen sie und appellieren an die Politiker: »Wir werden das so lange wiederholen bis ihr das versteht«. dpa

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