Mit Normalität hat das nichts mehr zu tun

Das Kunstforum Wien präsentiert Werke des Universalkünstlers Man Ray

  • Gert Claußnitzer
  • Lesedauer: 4 Min.

In Wien kann man derzeit das vielgestaltige Werk des Malers, Filmregisseurs, Objektkünstlers und Fotografen Man Ray (1890 - 1976) betrachten. Ohne Zweifel ist er ein Universalkünstler gewesen, wie man im Wiener Kunstforum bemerken kann. Hier hat man keine Mühe gescheut, um alle Facetten seines Schaffens beleuchten zu können. Als Leihgeber sind unter anderem das Museum of Modern Art, das Whitney-Museum in New York, das Centre Pompidou in Paris, die Tate Gallery in London genannt. Nur so, mit vielen Leihgaben prominenter Häuser, kann offenbar heute ein geschlossenes Panorama des seinerzeit ungeheuer produktiven und ungewöhnlich experimentierfreudigen Künstlers gezeigt werden. Um den ganzen Man Ray erfassen zu können, sollte man jetzt unbedingt nach Wien reisen - oder sich zumindest den sehr guten Ausstellungskatalog zu Gemüte führen.

Als Fotograf ist Man Ray weitgehend bekannt. Aber er malte ja auch, was man nur selten berücksichtigt, und er zeichnete, filmte, schrieb; er schuf Objekte, Bücher, Schachspiele. Die Vielfalt ist es, die dieser Wiener Ausstellung ihren Glanz verleiht. Und die Verspieltheit dieser Kunst lässt an den Dadaismus denken und den Surrealismus.

Mit dem Spanier Francis Picabia und dem Franzosen Marcel Duchamp ist Man Ray eng befreundet. In Amerika bilden sie gleichsam die New Yorker Dadaisten-Gruppe. Sie nennen sich »Anti-Schöpfer«. Man Ray sagt man nach, er zeige einen »Unnützlichkeits-Effekt«. Und er ist wohl von diesen drei Dadaisten, diesen Anti-Künstlern, der humorvollste. Er habe, so sagten es viele seiner Wegbegleiter und Bewunderer, gleichsam den »Humor der Unnützlichkeit der Maschine« entdeckt.

In der Wiener Präsentation seines Schaffens reicht der Bogen von den frühen Malereien, die ja kaum bekannt sind, über kommerzielle Aufträge, vielfach in Zusammenarbeit mit Tristan Tzara und André Breton entstandene Werke, Fotogramme, Experimente in der Dunkelkammer, wo Man Ray die sogenannte Rayografie entdeckt (eine Form des Fotogramms, eine kameralose Fototechnik), bis hin zu der bewussten Stillosigkeit seiner Objektkunst.

»Ich weigere mich, etwas zu akzeptieren«, sagt der »Anti-Künstler« Marcel Duchamp. Und es ist mithin der Zweifel, der sie beide beherrscht, Man Ray und Marcel Duchamp. Und beide sind sie eigentlich die Erfinder der »Ready mades«, der verrückten Gegenstände - irrealer Objekte, die man zwar mit Titeln versieht, die aber keine Kunst sein sollen. Vielmehr gehören sie in ein fremdes, surreales Assoziationsfeld, abwegig in ihrer Gestalt und der reinen Fantasie entsprungen.

Mit Normalität haben mithin die Werke dieser Wiener Ausstellung im Kunstforum demnach nur wenig zu tun. Allenfalls der Ausgangspunkt des Schaffens von Man Ray folgt noch Gedankenmustern der modernen Malerei. Da gibt es Anklänge an den Fauvismus und den Kubismus, das Gemälde »Five Figures« von 1914 zum Beispiel oder das mit »Man Ray 1914« betitelte Bild, gleichfalls von 1914, wo wohl Bezüge zu Picasso und Braque zu erkennen sind.

In den folgenden Jahren vollzieht sich ein Wandel im Schaffen Man Rays hin zu geometrisierenden Gestaltungen, in Bildern mit Tänzerinnen zum Beispiel. Der Objekt- und Spielcharakter in solchen Darstellungen ist evident, auch der freie Umgang mit den Medien, mit Ideen und Materialien. Das fast besessene Interesse an Objekten wäre hervorzuheben. Es wird Man Ray bis ans Ende seines Lebens beherrschen.

Im Grunde handelt es sich bei Man Ray um einen Umsturz der Bilder, wie einmal gesagt wurde. Er wird damit wie Marcel Duchamp zum Ziehvater der »neuen Realisten«, der Konzeptkünstler ganz allgemein. Duchamp, der Künstler für Lügner und Gauner hielt, und Man Ray waren wohl Einzelgänger und Außenseiter im weitesten Sinne.

Und sie haben ein Leben lang mit allem, was ihnen zur Verfügung stand, systematisch gearbeitet und gebastelt an ihrer Kunstperformance, wie man es nennen könnte. Eine Summe des Schaffens von Man Ray, seines schier unerschöpflichen Ideenreichtums, erschließt uns das Wiener Kunstforum in dieser faszinierenden Ausstellung.

»Man Ray«, bis zum 24. Juni im Bank-Austria-Kunstforum Wien. Das Buch zur Ausstellung von Ingried Brugger und Lisa Ortner-Kreil (240 S., geb.) ist im Kehrer-Verlag Heidelberg erschienen und kostet 35 €.

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