- Kommentare
- Tempo 30
Eine Frage der Ressourcen
Nicolas Šustr will mehr Mut zum Risiko in der Verkehrspolitik
Es ist sehr unwahrscheinlich, dass Tempo 30 auf der Leipziger Straße die Stickstoffdioxidemissionen unter die Grenzwerte drücken wird. Das sagt indirekt selbst die Verkehrs- und Umweltsenatorin Regine Günther (parteilos, für Grüne). Sie rechnet vor, dass ein flüssigerer Autoverkehr bei geringerer Geschwindigkeit andernorts eine Reduktion um zehn Prozent gebracht hat, und sie sagt, dass die Emissionen eigentlich um mehr als das Fünffache dieser Zahl sinken müssten.
Obwohl also die Erfolglosigkeit des Vorgehens in diesem Fall von vornherein absehbar ist, fließen hohe Beträge in die wissenschaftliche Begleitung des Pilotprojekts. Dazu werden noch knappe Planerressourcen für die Umprogrammierung der Ampeln in den betroffenen Straßenzügen verbraucht. Gleichzeitig kommen Projekte wie die Bevorrechtigung von Bussen und Bahnen an Kreuzungen nur im Schneckentempo voran. Auch die simple Abmarkierung von ein paar hundert Metern Straßenbahngleis in der Eberswalder Straße, der Staufalle für die Tramlinie M10, unter der Zehntausende Nutzer täglich leiden, ist in anderthalb rot-rot-grünen Jahren noch nicht gelungen.
Es gehe darum, Fahrverbote zu vermeiden. Außerdem seien die Ampelprogrammierungen an externe Büros vergeben worden, verteidigt Günther die Maßnahmen. Tatsächlich scheint es gar nicht so leicht zu sein, einfach Tempo 30 zu verhängen, ohne dass Gerichte bei erwartbaren Klagen die Beschränkung gleich wieder kassieren, weil sie keinen triftigen Grund dafür erkennen können. Aber vielleicht würde ein bisschen mehr Mut zum Risiko bei der Umsetzung der Verkehrswende in Berlin nicht schaden.
Ein Vorbild kann die Vorgehensweise von Friedrichshain-Kreuzberg oder Neukölln beim Vorkaufsrecht für Mietshäuser sein. In praktisch jedem Fall wurden die Bezirke verklagt, bisher konnten sie sich vor Gericht jedoch durchsetzen. Natürlich bräuchte es dabei auch den vollen Rückhalt in der Koalition. Bei der SPD ist er noch ausbaufähig.
Wir stehen zum Verkauf. Aber nur an unsere Leser*innen.
Die »nd.Genossenschaft« gehört denen, die sie lesen und schreiben. Sie sichern mit ihrem Beitrag, dass unser Journalismus für alle zugänglich bleibt – ganz ohne Medienkonzern, Milliardär oder Paywall.
Dank Ihrer Unterstützung können wir:
→ unabhängig und kritisch berichten
→ übersehene Themen in den Fokus rücken
→ marginalisierten Stimmen eine Plattform geben
→ Falschinformationen etwas entgegensetzen
→ linke Debatten anstoßen und weiterentwickeln
Mit »Freiwillig zahlen« oder einem Genossenschaftsanteil machen Sie den Unterschied. Sie helfen, diese Zeitung am Leben zu halten. Damit nd.bleibt.