Im Alt-Berliner Kiez ganz vorne

Teil 8 und Schluss der Serie zu den Westbezirksverbänden: Charlottenburg-Wilmersdorf

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 4 Min.

»Wir wollen aus Charlottenburg-Wilmersdorf einen roten Bezirk machen«, sagt Friederike Benda. Als LINKE-Direktkandidatin für den Bundestag bei der Wahl im Herbst vergangenen Jahres erhielt sie 9,4 Prozent der Stimmen. Das ist noch nicht hegemonieverdächtig, aber immerhin konnte sie mehr Erststimmen für sich reklamieren als der Kandidat der FDP. Die Liberalen sind im Bezirk eine echte Größe, bei den Zweitstimmen lagen sie dann auch mit fast 15 Prozent deutlich vor den Sozialisten mit knapp 12 Prozent.

»Das war das beste Ergebnis für die Linkspartei bisher in Charlottenburg-Wilmersdorf«, erklärt Benda zufrieden, die auch Co-Vorsitzende im Bezirk ist. In zwei Wahllokalen lag die LINKE sogar ganz vorne: Rund um den Klausenerplatz, einem richtigen Alt-Berliner Kiez mit noch bunt gemischter Bevölkerung. Auch hier schlägt die Gentrifizierung zu. Außerdem noch in der Gegend nördlich des Ernst-Reuter-Platzes.

»Wir haben die Mitglieder im Wahlkampf ganz schön gefordert«, erinnert sich die Benda. Es sei sehr gut gelungen, sie zu aktivieren, durch die Schwerpunktsetzung auf Themen wie Feminismus, Frieden und Militarisierung. Für viele ältere Genossen im Bezirk kommen aus der Friedensbewegung der 68er. »Daher konnten viele Leute zu ihren Themen an den Wahlkampfständen stehen«. Die positiven Reaktionen überwogen dort. »Ich wusste gar nicht, dass es Sie auch im Westen gibt - das haben wir immer wieder gehört«, berichtet Benda. »Es gibt wirklich sehr viel Reichtum in unserem Bezirk. Aber auch handfeste Probleme, die kleingeredet werden.«

»Charlottenburg-Wilmersdorf ist der Bezirk mit den größten sozialen Gegensätzen in Berlin«, sagt Niklas Schenker. Der 24-Jährige ist der Vorsitzende der Linksfraktion in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV). Bei den Wahlen 2016 konnte die Partei erstmals in Fraktionsstärke in das Rathaus einziehen - als kleinste Fraktion mit vier Mitgliedern. Mit 7,9 Prozent der Stimmen hatte sich der Zuspruch bei den Wählern im Vergleich zu 2011 mehr als verdoppelt.

Auch ohne Stadtratsposten hat die Linksfraktion Einfluss. SPD und Grüne hatten nämlich die einstige Mehrheit verloren. Die kleine LINKE ist das Zünglein an der Waage. »Wir sind nicht der rot-grünen Zählgemeinschaft beigetreten, haben aber einen Tolerierungsvertrag geschlossen«, sagt Schenker. Er hat es gleich bei der Konstituierung der BVV in die Schlagzeilen geschafft, weil er dem Alterspräsidenten, einem AfD-Mitglied, den Händedruck verweigerte.

Im Mai 2017 erregte die Linksfraktion noch einmal berlinweite Aufmerksamkeit mit dem Antrag, dass auf bezirkseigenen Werbeflächen sexistische Werbung verboten sein soll. »Die ganzen rechten Parteien haben getobt«, freut er sich noch heute. Mit den Stimmen von SPD und Grünen wurde er angenommen. Geschenkt, dass der Bezirk gar keine eigenen Flächen hat. »Allein die Debatte hat sich gelohnt«, so Schenker.

Die behäbige Bürgerlichkeit in der City West konstruktiv aufzumischen, das gefällt dem ehemaligen Punker. Ein besonders dickes Brett muss die Linksfraktion beim Thema Verdrängung bohren. Die Bau- und Wohnungspolitik im Bezirk war stets sehr investorenorientiert. Den großen Bruch kann auch der Baustadtrat Oliver Schruoffeneger (Grüne) nicht für sich verbuchen. Während in anderen Bezirken seine Grünen-Amtskollegen Vorkaufsrechte für Wohnhäuser ausüben, fehlt in Charlottenburg-Wilmersdorf bisher die Grundlage dafür, nämlich die Ausweisung von Milieuschutzgebieten. Seit Monaten liegen die von der BVV beschlossenen Verordnungen bei Schruoffeneger in der Schublade. Angesichts des konkreten Handelns im Bezirk begrüßt die Linksfraktion im Gegensatz zu anderen vor Ort auch ausdrücklich, dass die Stadtentwicklungsverwaltung die Planung für das Gebiet nördlich des Bahnhofs Zoo an sich gezogen hat.

Mit dem zunehmenden Einfluss wachsen auch die Mitgliederzahlen. Knapp 80 Menschen traten seit November 2016 in die LINKE ein, die nun 250 Mitglieder zählt. Die größte Gruppe stellen die unter 25-Jährigen. Damit ging auch ein Kulturwandel einher. »Wir haben zum Beispiel die Redezeiten begrenzt«, erklärt der zweite Co-Vorsitzende Moritz Fröhlich. Im Vorstand gab es einen Generationenwechsel. Sieben von acht Plätzen sind besetzt, es fehlt noch eine Frau. Im November 2016 zählte er erst fünf Köpfe, weil bei der Wahl nur ein weibliches Mitglied antrat. »Der Aufbau der Partei macht mir wirklich Spaß«, sagt Fröhlich. Vor allem, weil er eine gute Perspektive für die LINKE in der City West sieht: »Da geht noch was, wenn man sich ansieht, wie SPD und Grüne hier agieren.«

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