Schüsse auf Hamas-Politiker

Palästinensische Organisationen uneinig über Bewertung von Mord in Kuala Lumpur

  • Oliver Eberhardt, Tel Aviv
  • Lesedauer: 3 Min.

Um die 50 junge Männer waren am Sonntag morgen an die Grenze gekommen, um auf den hohen Grenzzaun loszustürmen, der den Gazastreifen von Israel abschirmen soll. Das israelische Militär reagierte vor allem mit Tränengas, aber auch mit scharfen Schüssen. Todesopfer gab es diesmal keine.

Zuvor hatten am Freitag erneut Hunderte an der Grenze demon-striert; es war der vierte Freitagsprotest in Folge. Nach Angaben des palästinensischen Roten Halbmondes starben dabei vier Menschen, darunter ein 15-Jähriger. Der diplomatische Dienst der Europäischen Union forderte Israels Militär auf, auf den Einsatz tödlicher Gewalt zu verzichten. Die Umstände, unter denen der 15-Jährige zu Tode kam, müssten unabhängig geklärt werden. Israels Verteidigungsminister Avigdor Lieberman wies die Kritik indes zurück: Die Hamas sei allein verantwortlich; sie wisse, dass Israels Militär am Schießbefehl festhalte.

Doch während zu den Freitagsprotesten die Hamas aufruft, die den Gazastreifen de facto regiert, war es am Sonntag der kleinere, um einiges radikalere Islamische Dschihad gewesen, der zum Sturm auf den Zaun aufgefordert hatte. Der Grund: Am Samstag war in der malaysischen Hauptstadt Kuala Lumpur der palästinensische Imam und Elektroingenieur Fadi al-Batsch erschossen worden. Nach Angaben der malaysischen Polizei hätten zwei Männer von Motorrädern aus zehn Schüsse abgefeuert. Das Opfer sei von vier Schüssen getroffen worden.

Die Hamas gab kurz darauf bekannt, al-Batsch sei ein »loyales Mitglied«, ein »Held der palästinensischen Wissenschaftler« gewesen. Doch die Gedenkveranstaltung am Samstagabend wurde vom militärischen Flügel der Hamas, den Essedin-al-Kassam-Brigaden, organisiert. Auf Plakaten wurde al-Batsch, der neben seiner Tätigkeit als Imam einer Moschee in Kuala Lumpur auch als Dozent an der dortigen Universität tätig war, als Kommandeur der Kassam-Brigaden identifiziert - was zu Spekulationen führte, der 35-Jährige habe das Wissen für ein Drohnenbau-Programm der Hamas geliefert und sei vom israelischen Geheimdienst Mossad getötet worden.

Doch Hamas wie auch die Kassam-Brigaden äußerten sich ungewöhnlich vage: Al-Batsch sei »durch die Hand des Verrats« getötet worden, heißt es in einer Mitteilung der Hamas-Regierung. Dafür wurde der Islamische Dschihad deutlicher: Er machte Israel verantwortlich, schwor Rache, forderte zum Protest am Grenzzaun auf und machte deutlich, dass man damit auch die Hamas bloßstellen und provozieren wolle: Diese habe »die Ziele des palästinensischen Volkes verraten«, sei »weich« geworden. Und weiter: »Ihr alle, die für die Freiheit kämpfen wollt, schließt Euch dem wahren Widerstand an.« Als »Widerstand« bezeichnen sich normalerweise die Kassam-Brigaden, die für sich die Rolle eines palästinensischen Militärs beanspruchen.

Israels Regierung bestreitet, etwas mit dem Ermordung al-Batschs zu tun zu haben. Ein Sprecher der offiziellen palästinensischen Regierung in Rammalah äußerte die Befürchtung, dass zusätzlich zum Streit zwischen Fatah und Hamas nun auch offener Machtkampf zwischen Hamas und dem Islamischen Dschihad ausbrechen könnte.

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