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  • Torhüter Loris Karius

Die Nummer 1 an der Anfield Road

Von Mainz nach Liverpool: Wie der Deutsche Loris Karius Stammtorhüter der Reds wurde

  • Frank Hellmann
  • Lesedauer: 4 Min.

»Alles Gute!« Oder einfach nur: »Good luck!« Das eine Mal reicht eine Kurznachricht, um Anteilnahme auszudrücken. So manch anderes Mal brauchte es aber ein längeres Telefonat, wenn die Torwartwelt bei Loris Karius mal wieder in Unordnung geraten war, was wohl zwangsläufig vorkommt, wenn einer mit 23 auszieht, um die Anfield Road zu erobern. »Wir haben immer noch Kontakt, reden oft miteinander«, erzählt Stephan Kuhnert, Über den FC Liverpool, aber auch den FSV Mainz 05, wo der Ex-Torhüter Kuhnert auch als Torwarttrainer noch Kultstatus genießt.

In den vergangenen Tagen aber herrschte eher Funkstille: Tipps für das Halbfinale in der Champions League zwischen dem FC Liverpool und AS Rom an diesem Dienstag braucht Kuhnert nicht zu geben. »Aber ich schaue mir das natürlich am Fernseher an.« Dass er vom Sofa mitfiebert, versteht sich von selbst, mischt sich doch auch etwas Stolz in die Beobachtung. Mit der Ernennung zum Stammkeeper seit Jahresbeginn sei bei Karius nicht nur das Selbstvertrauen gewachsen: »Loris ist viel athletischer geworden, wirkt körperlich noch stabiler und hat an Masse zugelegt.«

Der blonde Deutsche ist beim FC Liverpool zur Stütze gereift. Im Viertelfinale gegen Manchester City hielt er das sechste Mal seinen Kasten in der Königsklasse sauber. So oft wie kein anderer Keeper. Abgelegt hat der jetzt 24-Jährige das, was sein einstiger Ausbilder das »Manuel-Neuer-Syndrom« nennt: unbedingt bei wenigen Gelegenheiten zeigen zu wollen, was man kann. Verbunden mit dem Risiko, Bälle anlaufen oder abgreifen zu wollen, wo ein Torwart besser wegbleibt. Dass Karius dabei Fehler unterliefen, verwunderte Kuhnert nicht: »Er war es aus Mainz gewohnt, dass er mehr zu tun bekommt.«

Am Bruchweg begann die Zusammenarbeit 2011, als Karius zunächst Spielpraxis in der zweiten Mainzer Mannschaft sammelte. Kuhnert erkannte schnell das Talent - aber auch den Nachholbedarf. »Anfangs hat er sich schwer getan, den richtigen Fleiß zu entwickeln. Er war der Typ Jungprofi, der förmlich um den Tritt in den Allerwertesten bettelte.« Es brauchte erst einige Kapriolen und verletzungsbedingter Auszeiten der Platzhalter Christian Wetklo und Heinz Müller, dass Karius zeigen durfte, was er drauf hat. In der Spielzeit 2015/2016 war der 1,90-Meter-Mann dann schon so gut geworden, dass Jürgen Klopp von der Insel anrief.

Karius sagte sofort zu, wohl wissend, dass schmerzvolle Lernprozesse zur Methode des ehemaligen Mainzer Trainers gehören. In seiner ersten Saison beim FC Liverpool erlitt der Neuzugang zunächst einen Handbruch, rückte trotzdem schnell unter die Latte, um den Platz bald wieder an den Belgier Simon Mignolet zu verlieren. Der Deutsche hatte sich einige Wackler zu viel geleistet. Denn in kaum einem anderen Klub zählt das Wort der Legenden aus den glorreichen Epochen der 70er und 80er Jahre so viel: Wenn alte Kämpen wie Phil Thompson oder Kenny Daglish in der Torwartfrage den Daumen senken, kann sich selbst Klopp der Meinung kaum entziehen. Die Versöhnung begann in dieser Spielzeit mit klassischer Arbeitsteilung: Mignolet spielte in der Premier League, Karius in der Champions League, was letzterem nur bedingt gefiel: »Befriedigend war das natürlich nicht.«

Sein beschwerlicher Aufstieg zur Nummer eins weist viele Parallelen zu Marc-André ter Stegen beim FC Barcelona auf. Der Schlussmann besitzt nun beste Chancen, die WM als Nummer eins zu bestreiten, sollte Manuel Neuer nicht rechtzeitig genesen. Dass für die Mission in Russland gerade ernsthaft über die Nominierung von Sven Ullreich, nicht aber über Karius diskutiert wird, findet Kuhnert auf der einen Seite verwunderlich. Auf der anderen Seite erinnert der 57-Jährige: »Loris hat einmal in einem Interview über die Nationalmannschaft gesprochen und danach gleich gepatzt: Deshalb spricht er das nicht mehr an.«

Aber wenn nach der WM vielleicht deutsche Torwartkarten völlig neu gemischt werden müssen, wäre es sicher ein Fehler, den Rückhalt der »Reds« völlig zu vergessen. Kuhnert sieht nämlich bei Karius Qualitäten, die im Business helfen können: »Er ist einfach eine coole Socke. Und jetzt hat er das Standing, das er lange vermisst hat.« Das Duell gegen die Roma wird aus Sicht des Förderers sachdienliche Hinweise höchster Güte geben, zumal Karius’ Gegenüber Alisson Ramses Becker, kurz Alisson, laut dem »Expected Goals«-Modell, sogar der beste Torwart Europas ist.

Als den brasilianischen Ballfänger von Internacional Porto Alegre nur einige Experten kannten, »fiel er mir in einem Freundschaftsspiel gegen Bayer Leverkusen auf«, erzählt Kuhnert, »leider war er da schon zu teuer.« Die Mainzer verpflichteten dann 2016 den Dänen Jonas Lössl, während Alisson zum AS Rom wechselte. Nun ist der 25-Jährige auch Stammtorwart von Brasiliens Nationalmannschaft und darf sich bei der Weltmeisterschaft in Russland auf großer Bühne beweisen. Aber die bietet auch ein Champions-League-Halbfinale, in dem sich laut Kuhnert »zwei richtig gute Torhüter« gegenüberstehen.

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