»Wir wollen die Eigentumsfrage stellen«

Initiativen berieten bei der »Recht auf Stadt«-Konferenz in Leipzig über Strategien gegen Gentrifizierung

  • Jennifer Stange
  • Lesedauer: 4 Min.

Das Thema Mieten ist heiß in Leipzig, das zeigen schon die nackten Zahlen. Rasend schnell hat sich die ehemals schrumpfende Stadt zu einer der am schnellsten wachsenden Städte in ganz Deutschland entwickelt. Heute fehlen 40 000 bis 45 000 bezahlbare Wohnungen. Laut einer Untersuchung der Immobilienfirma Jones Lang LaSalle SE zahlen Neumieter heute fast 40 Prozent mehr als noch vor zehn Jahren.

Mit den steigenden Mieten wächst in Leipzig auch der Protest gegen Verdrängung. In der Messestadt trafen sich am vergangenen Wochenende Aktivisten zur mittlerweile vierten bundesweiten Konferenz des »Recht auf Stadt«-Netzwerks. Bis zum Sonntag gab es Diskussionen, Workshops, Filme und Vorträge. Den Auftakt bildete eine Demonstration gegen »Mietenwahnsinn und Verdrängung« am Freitag. Fast 1000 Menschen nahmen daran teil. Es war die erste größere Demonstration seit der Wende, die sich gegen steigende Wohnungsmieten in der Stadt richtete.

Der Protestzug von »Leipzig für alle« zog von der Innenstadt in den Leipziger Osten, geradewegs in den Stadtteil Neustadt-Neuschönefeld. Dieser hatte sich in den letzten Jahren zu einem der neuen stadtpolitischen Hotspots entwickelt. Sein Gesicht hatte sich von einer der wenigen migrantisch geprägten Ecken in Sachsen zum hippen Studierendenviertel gewandelt. Mit den üblichen Folgen. »Dieser Stadtteil erlebt gerade seine zweite Sanierungswelle mit allem, was dazu gehört: explodierende Mieten, Entmietung und Kriminalisierung der örtlichen Bevölkerung«, sagt Henning Bach, Mitorganisator des »Recht auf Stadt«-Forums.

Die Konferenz am Wochenende diente der Vernetzung und dem Erfahrungsaustausch der unterschiedlichen Gruppen, die sich in ihren jeweiligen Städten lokal einmischen. Eine bundesweite kohärente Strategie gibt es bisher nicht, doch die Probleme der einzelnen Initiativen sind offenbar dieselben. Große Fragen, die immer wieder formuliert wurden, waren: Wie kann man als politische Initiative der Falle entgehen, sich zu einem bloßen Mieterservice zu entwickeln, der letztlich in Rechtsfragen und juristischen Einzelkämpfen stecken bleibt? Und wie kann man politische Inhalte formulieren, die jenseits des professionellen Politgeschäfts auch für Mieterinnen und Mieter im Wohnblock verständlich sind?

Henning Bach engagiert sich bei der Leipziger linksradikalen Gruppe »Prisma«. Er macht seit fünf Jahren Stadtteilarbeit, berät bei Kündigungen und Mieterhöhungen in der Eisenbahnstraße und kennt das Problem: »Man wird zum Experten für die ganze Scheiße, aber unterm Strich geht es nur zu 20 Prozent um juristische Probleme und zu 80 Prozent um Politik.« Beim Thema Politik bleiben Aktivisten aus studentischen Milieus meistens unter sich.

Der Blick nach Berlin drängt sich auf. Hier hatten jüngst etwa 25 000 Menschen gegen »Mietenwahnsinn« protestiert. »Handfeste materielle Erfolge« gäbe es auch, sagt Hannes, Aktivist aus der »Otto-Suhr-Siedlung« in Kreuzberg. Eine Modernisierungsumlage, die von der Immobiliengesellschaft »Deutsche Wohnen« den Mietern aufgebrummt werden sollte, konnte von 150 Euro auf 90 Euro im Monat gedrückt und eine Härtefallregelung durchgesetzt werden.

Bei der Demo in Berlin waren die Bewohner aus der »Otto-Suhr-Siedlung« ganz vorne mit dabei. Und jetzt? »Wir wollen die ›Deutsche Wohnen‹ enteignen«, sagt Nina von »Kotti & Co«. Die Eigentumsfrage müsse gestellt werden, denn die Immobilienfirma verfolge weiter ihre Strategie, Mieter auszutauschen, um so die versprochene Dividende zu erreichen. Ein paar Zuhörer, die sich am Sonntagmorgen zum Workshop »Organisieren gegen große Wohnungsunternehmen« zusammengefunden hatten, machten große Augen.

Doch so abseitig ist diese Forderung wohl nicht - und theoretisch auch ohne Revolution, mit Berufung auf das Grundgesetz umzusetzen. Der politische Weg dahin bleibt nichtsdestotrotz wahrscheinlich lang. Der Zeitpunkt für diese Debatte sei gekommen, so Nina von »Kotti & Co«.

Auch den Leipziger Stadtrat hat das Thema Verdrängung erreicht. Doch die bisherigen Verlautbarungen wecken eher Skepsis. Wohnraum solle kein »Spekulationsobjekt« sein, forderte jüngst etwa SPD-Fraktionschef Christopher Zenker. Dagegen müsse der Dresdener Landtag Maßnahmen ergreifen. Sein Appell richtete sich offenbar an die eigenen Genossen. Denn seit der Landtagswahl 2014 regiert Schwarz-Rot in Sachsen. Beim Thema Wohnen zeigt die SPD bisher wenig Profil.

Es ist auch angesichts der Wohnungsmarktpolitik der einstigen rot-grünen Bundesregierung nicht frei von Ironie, wenn die Leipziger Grünen nun in ihrem Aufruf zur Demonstration von Bund und Land verlangen, »den Vorrang des Gemeinwohls in der Wohnungs-, Mieten- und Bodenpolitik wiederherzustellen«. Die LINKE, die ebenfalls zu den Protesten aufgerufen hatte, will immerhin mit einer Online-Bürgerumfrage ihre wohnungspolitischen Ziele in der Stadt überprüfen und diskutieren.

Das Netzwerk »Leipzig für alle« hat derweil seine Forderungen aufgestellt. Es verlangt beispielsweise die sofortige Einführung von Milieuschutzsatzungen, mit der die soziale Zusammensetzung der Bevölkerung geschützt und bestimmte bauliche Veränderungen an Wohnungen untersagt werden können. Ebenso fordern die Aktivisten, die Vorkaufsrechte für Mieter zu stärken. Ein Instrument, das bei derzeitigen Immobilienpreisen wohl aber nur denjenigen helfen wird, die entsprechende finanzielle Mittel haben.

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