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  • Maikundgebung in Wiesbaden

Ein Tag mit der Gewerkschaftsbasis

In Wiesbaden fordern Arbeiter- und Angestelltenvertreter einen handlungsfähigen Staat

  • Hans-Gerd Öfinger, Wiesbaden
  • Lesedauer: 3 Min.

Wie in mehr als 30 anderen hessischen Städten zeigt der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) auch in der Landeshauptstadt Wiesbaden am 1. Mai Flagge. Hier gehört die Maikundgebung zum Pflichttermin von Aktivisten aus Gewerkschaften, sozialen Bewegungen und Parteien, die den Schulterschluss mit der Arbeiterbewegung suchen und sich mit zahlreichen Infoständen dem Publikum präsentieren. Nach der Kundgebung kommt man sich bei Speis und Trank, Infoständen, Kinderschminken und Live-Musik näher. Schon bald steht fest, dass die Beteiligung mit mehr als 500 Menschen aller Generationen deutlich höher ist als in den Vorjahren.

Dass bei der Wiesbadener Maikundgebung nicht die um die Gunst von Gewerkschaftern buhlende Politprominenz oder eingeflogene Spitzenfunktionäre, sondern basisnahe Aktivisten oder gewerkschaftsnahe Wissenschaftler zu Wort kommen, ist hier schon seit Jahren die Linie des DGB.

Der Kundgebungsort am Kranzplatz bildet nicht nur eine eindrucksvolle städtebauliche Kulisse, sondern auch einen Gegenpol von unten. Denn hier residiert in einem ehemaligen Nobelhotel seit Jahren Hessens CDU-Ministerpräsident Volker Bouffier. Er will auch mit 66 Jahren nicht in Rente gehen. Bei der Landtagswahl in einem halben Jahr hat er sich zum Ziel gesetzt, seinen Chefsessel in der Staatskanzlei zu verteidigen.

Mit Bouffiers schwarz-grüner Regierung haben die DGB-Gewerkschaften schon etliche Konflikte ausgefochten. Daran erinnert auch ver.di-Bezirksvorsitzender Bernd Meffert. »Wir brauchen einen handlungsfähigen Staat mit einer guten Infrastruktur, Bildung und Gesundheitswesen«, so der Gewerkschafter. Er bemängelt, dass Hessen mit der Umsetzung der Schuldenbremse, massivem Personalabbau und einer dekretierten 41-Stunden-Woche für Landesbeamte bundesweit negative Maßstäbe gesetzt habe. Meffert fordert ein Tariftreue- und Vergabegesetz nach gewerkschaftlichen Normen ebenso wie effektive Kontrollen bei der Umsetzung.

Der örtliche DGB-Chef Sascha Schmidt wirbt um Zuspruch für den Appell »AfD im Landtag - wir sagen Nein«. Dass dies erreichbar sei, zeige auch das relativ schwache Abschneiden der Rechtspartei mit 6,2 Prozent bei der Landtagswahl in Niedersachsen Ende 2017.

Für Anja Golder ist dies die erste Wiesbadener Maikundgebung in ihrem Leben. Die gelernte Sozialarbeiterin ist im ostthüringischen Gera aufgewachsen und um die Jahrtausendwende über Proteste gegen die Neonaziszene zur Gewerkschaftsbewegung gestoßen. Seit Herbst betreut sie als ver.di-Gewerkschaftssekretärin im Raum Wiesbaden Beschäftigte in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen. In ihrer Mairede spricht sie über »Arbeitsbedingungen in Zeiten der Kommerzialisierung des Gesundheitswesens« und schildert dabei praxisnah die Nöte einer hoffnungslos überlasteten Pflegekraft, die in einer Nachtschicht von Patient zu Patient hetzt und dabei schmerzhafte Prioritäten setzen muss.

Golder kritisiert die gesetzlichen Rückschritte, die das Gesundheitswesen seit Jahrzehnten aushöhlen und Privatisierungen kommunaler Krankenhäuser gefördert haben. So hat sich im Raum Wiesbaden der Helios-Konzern breit gemacht und auch das Regiment im einstmals kommunalen Vorzeigekrankenhaus Dr. Horst Schmidt-Klinik (HSK) übernommen.

Dass Helios jetzt gleichzeitig im 20 Kilometer entfernten Bad Schwalbach das privatisierte ehemalige Kreiskrankenhaus schließt und die Patienten in die HSK umdirigieren möchte, hat Unmut und Protest ausgelöst. »Mit unseren Krankenversicherungsbeiträgen finanzieren wir die Gewinne der Konzerne und stützen die Aktienkurse«, erklärt Golder. Sie beklagt die im europaweiten Vergleich sehr hohen deutschen Betreuungsschlüssel und den hohen Personaldurchlauf in der Kranken- und Altenpflege. Bei der HSK seien mittlerweile zehn Leiharbeitsfirmen im Einsatz. »Die politisch Verantwortlichen tun so, als ob sie nicht verantwortlich wären«, so die Gewerkschafterin an die Adresse führender Kommunalpolitiker.

Die HSK-Privatisierung war von einer Rathauskoalition aus CDU und SPD 2012 gegen breiten Widerstand aus Bevölkerung und Belegschaft durchgedrückt worden. Bei der damaligen Maikundgebung prangerten Aktivisten auf dem Kranzplatz mit Spruchbändern dies als »Wortbruch und Verrat« an. Dass die damaligen Warnungen vor den Privatisierungsfolgen begründet sind, wird in jedem Satz von Anja Golders Rede deutlich.

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