Sensation, Größenwahn, Abstieg

Der Meisterschaftsgewinn des 1. FC Kaiserslautern vor 20 Jahren gilt auch als Beginn des Niedergangs des Klubs vom Betzenberg

  • Alexander Sarter, Kaiserslautern
  • Lesedauer: 3 Min.

Otto Rehhagel kommt auch heute noch ins Schwärmen. »Es war eine Sensation, die es nie mehr geben wird. Wir haben Sportgeschichte geschrieben«, sagte der jetzt 79 Jahre alte Ex-Trainer des 1. FC Kaiserslautern beim Blick zurück auf den 2. Mai 1998. Tatsächlich gelang den Roten Teufeln vor 20 Jahren durch ein 4:0 gegen den VfL Wolfsburg am vorletzten Bundesligaspieltag der bislang größte Coup im deutschen Profifußball - der Aufsteiger feierte die Meisterschaft.

Was in den Jahren danach geschah, war alles andere als feierlich. Der FCK wurde vom Größenwahn befallen. Eine Klubführung nach der nächsten leistete sich eklatante Fehler, die den viermaligen Meister und zweimaligen Pokalsieger bis heute in seiner Existenz bedrohen. Und so muss der Titelgewinn rückblickend als das betrachtet werden, was er auch war: Der Beginn eines zwei Jahrzehnte dauernden Niedergangs, der am vergangenen Freitag mit dem erstmaligen Abstieg in die 3. Liga seinen vorläufigen Tiefpunkt erreichte.

Der Ausgangspunkt des sportlichen Desasters liegt allerdings schon im Jahr 1996. Damals stieg das Bundesliga-Gründungsmitglied, der Klub der fünf Weltmeister von 1954 um Kapitän Fritz Walter, zum ersten Mal aus der Eliteklasse ab. Die Tränen von Andreas Brehme im Arm von Rudi Völler sind bis heute unvergessen. Den Pokalsieg einige Tage später und auch die Meisterschaft 1998 hätten schon damals viele Anhänger gerne gegen eine ununterbrochene Mitgliedschaft in der Bundesliga eingetauscht. Der FCK wäre ein »normaler« Klub geblieben, den Höhenrausch mit dem tiefen Fall hätte es nicht gegeben.

Doch es kam anders. Die Mannschaft blieb nach dem Abstieg weitgehend zusammen, um den »Betriebsunfall« wiedergutzumachen. Der zuvor bei Bayern München geschasste Rehhagel wurde als Coach verpflichtet und führte das Team souverän durch die 2. Liga. Und dann geschah das, was den Lauf bis zum Titel erst auslöste: Der Aufsteiger gewann am 1. Spieltag durch einen Treffer von Michael Schjönberg in der 80. Minute mit 1:0 bei Bayern München.

Die Mannschaft um Ciriaco Sforza, Olaf Marschall, Ratinho, Miroslav Kadlec, Pavel Kuka, Martin Wagner und dem jungen Michael Ballack zog aus diesem Sieg so viel Selbstvertrauen, dass sie nicht mehr aufzuhalten war. Auch das Rückspiel gewannen die Pfälzer mit 2:0. Natürlich an einem Freitagabend unter Flutlicht auf dem Betzenberg, wo in der Zeit meist so lange gespielt wurde, bis der FCK gewonnen hatte.

»Die Jungs waren in der Form ihres Lebens. Sie hatten großartige Qualität - und sie waren mir als Menschen heilig«, erinnerte sich Rehhagel bei der Pressekonferenz zum Jubiläum: »Aber ehe die anderen was merkten, mussten wir durch sein. Der Traum ist im Laufe der Saison gereift - und ging am Ende in Erfüllung. Wer Meister werden will, muss zweimal in der Saison die Bayern schlagen. Das haben wir geschafft.« Und das mit Mitteln, die heute nicht mehr zum Erfolg reichen würden. »Damals ging es nicht um eine diametral abkippende Sechs oder eine falsche Neun. Wagner Flanke, Marschall Kopf - Tor«, erklärt Rehhagel das einfache Erfolgsrezept: »Ich konnte mich damals auch noch auf dem Spielermarkt bewegen. Deshalb hatten wir eine gute Truppe. Heute gibt es keine Chancengleichheit mehr. Der beste Fußball wird dort gespielt, wo das meiste Geld ist.«

Geld für wohltätige Zwecke soll es im September geben. Dann steigt im Fritz-Walter-Stadion das Benefizspiel mit dem Motto »Heimkehr der Helden - 20 Jahre das Wunder vom Betze«. Die damalige Meistermannschaft trifft auf das Team »Deutsche Fußball Legenden« um Mario Basler. SID/nd

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