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Köln wird zur »Leadcity« für Olympia
Die Domstadt soll der Bewerbung der Region Rhein-Ruhr für die Sommerspiele mehr Größe geben
Noch scheint die Sportstadt Köln zu schlafen. Doch immer konkreter deutet sich an, dass das »Millionendorf am Rhein«, wie es der BAP-Frontmann Wolfgang Niedecken einst besungen hat, tatsächlich zu einem Olympiakandidaten werden könnte – als »Leadcity« des bislang unter dem Namen »Olympia an Rhein und Ruhr« geführten Projektes, dessen treibende Kräfte in einem Jahr zu Deutschlands offiziellem Kandidaten für die Olympischen und Paralympischen Spiele 2036, 2040 oder 2044 gekürt werden wollen.
Der gerade neu gewählte Kölner Oberbürgermeister Torsten Burmester (SPD), der als ehemaliger Vorstandschef des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) bestens in der Sportszene vernetzt ist, schweigt derzeit zu diesem Thema. Auch die lokalen Medien fangen gerade erst an, sich intensiver mit den Details des riesigen Projektes zu beschäftigen, nachdem sich eine bemerkenswerte Mehrheit von 66 Prozent der Münchner Einwohner für eine Kandidatur ihrer Stadt ausgesprochen hat.
Kompaktes Spektakel
»Das Ergebnis bestätigt die Begeisterung für die olympische Idee in ganz Deutschland«, sagt Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst von der CDU dazu und warb sogleich für das eigene Bundesland: »Wir sind bereit für ein großes und zugleich kompaktes olympisches Fest mit neuen Zuschauerrekorden, spektakulären Sportstätten, getragen von den vielen sportbegeisterten Menschen bei uns im Land.«
Weil »Rhein-Ruhr« jedoch ziemlich »unsexy« klingt, wie ein hoher Sportfunktionär im vertraulichen Gespräch sagt, gilt es als offenes Geheimnis, dass noch vor Weihnachten »Cologne« mit dem Dom, dem Rhein und dem Duftwasser den bisherigen Namen ersetzen wird. Das unter dem Slogan »The Powerhouse of true Sports« firmierende, von der NRW-Staatskanzlei vorangetriebene Konzept soll aber weite Teile des Bundeslandes einbeziehen. Insgesamt 16 Kommunen von Dortmund über Recklinghausen, Gelsenkirchen, Duisburg, Wuppertal bis zu Oberhausen sind beteiligt. 50 der 54 Sportarten könnten in einem Radius von 40 Kilometern stattfinden: Damit würde Rhein-Ruhr sogar die gefeierten Spiele von Paris aus dem Vorjahr übertreffen.
Auch das Konzept der Sportstätten passt: die Arena auf Schalke als temporäres Schwimmstadion für 60 000 Menschen, Handball in Düsseldorf vor Rekordkulissen, Turnen in der großen Kölner Multifunktionshalle. In Aachen existiert eine der modernsten Reitsportanlagen der Welt, Duisburg ist eine international geschätzte Kanu- und Ruderhochburg. »Wir hatten in unserem Konzept hinterlegt, dass 95 Prozent der Sportstätten bereits stehen«, erklärt Christoph Niessen, Vorstandschef des Landessportbundes NRW. Im Zuge des Austausches habe der DOSB »nach der Taxonomie dieser ersten Bewerbungsstufe gesagt, dass wir in NRW sogar bei 100 Prozent liegen, denn es wird keine einzige Sportstätte neu und dauerhaft gebaut«.
Eine Idee, zwei Orte
Was fehlt, ist jedoch ein Leichtathletikstadion, das in der Regel auch das Zentrum der Spiele bildet und an das Olympische Dorf angeschlossen sein soll. Hier schwanken die Planer zwischen zwei Standorten: eine Industriebrache in Essen oder ein Ackergelände im Norden Kölns. Beide Flächen sollen ohnehin in den kommenden Jahren städtebaulich erschlossen werden, der vorliegende Entwurf eines Darmstädter Architekturbüros wäre an beiden Orten in ähnlicher Form realisierbar. Die Idee ist, ein Olympisches Dorf mit Wohnraum für rund 16 000 Olympioniken zu bauen. Und ein Stadion, das danach ohne viel Aufwand für eine Wohn- und Gewerbenutzung umgebaut werden kann – die Rasenfläche im Zentrum würde zu einem kleinen Park werden.
An dieser Stelle kommen die in NRW im Vergleich zu Berlin oder Hamburg eher leisen Kritiker ins Spiel. Jörg Detjen, der sich im Stadtrat für Die Linke mit Sportthemen befasst, begrüßt zwar, dass ein neues Viertel mit dem dringend benötigten Wohnraum entstehen soll, sagt aber auch, dass der Bau des längst geplanten Quartiers »durch Olympia gebremst« werde. »Derzeit liegt die Umsetzung auf Eis. Und wenn Köln den Zuschlag für das Dorf bekommen würde, müssten die Menschen bis 2040 oder 2044 warten, bis sie einziehen können.«
Der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) lehnt die Bebauung der unversiegelten Fläche grundsätzlich ab und fordert eine sogenannte »Strategische Umweltprüfung« der gesamten Olympiapläne. In diesem Verfahren ließe sich ermitteln, »welche Auswirkungen ein bestimmtes Projekt auf Boden, Wasser, Klima, Luft, Natur, Mensch« habe, sagt Dirk Jansen, BUND-Geschäftsleiter in NRW. Nur so seien die Einwohner in der Lage zu sagen, »welchen Impact so ein Großereignis auf die Umwelt hat, um dann zu sagen: Okay, das ist uns die Sache wert.«
Mehr Transparenz bei den Kosten
In der Politik und bei Sportverbänden ist grundsätzlich der Wille erkennbar, eher Chancen statt Bedenken in den Vordergrund zu stellen. Und so widerspricht der Landessportbund (LSB) auch dem vielfach erhobenen Vorwurf, dass die Kosten in einem überraschend um 27,4 Millionen Euro erhöhten Budget für Sportstättenbau versteckt werden. Bisher seien etwas mehr als 200 000 Euro ausgegeben worden, die Bürgerbefragung, die am 19. April 2026 stattfinden soll, werde einen niedrigen zweistelligen Millionenbetrag kosten. Da die genaue Summe gerade erst ermittelt werde, sei eben in dem Budget für Sportstättenbau ein gewisser Betrag »bevorratet« worden, erklärt LSB-Vorstandschef Niessen. Geld, das nicht benötigt werde, »kann dann den Sportstättenbau verstärken, da wird immer Geld gebraucht«.
Niessen plädiert grundsätzlich für mehr Transparenz – aber auch für einen unaufgeregteren Umgang mit den Investitionen in die Olympia-Kampagnen aller Bewerber: »Sie werden von niemandem aus Nordrhein-Westfalen hören, dass diese Olympia-Bewerbung günstiger ist als die vorherigen. Mittlerweile hören Sie das auch vom DOSB nicht mehr.« Es ist gut möglich, dass die Rhein-Ruhr-Kampagne bis zum Bürgerentscheid im kommenden April auf eine Summe von fast 20 Millionen Euro kommt. Angenommen, die anderen drei deutschen Bewerber München, Hamburg und Berlin geben ähnlich viel Geld aus, hätte alleine das nationale Auswahlverfahren bis zu 80 Millionen Euro an öffentlichen Mitteln verschlungen, die auch in Schulen oder Infrastruktur hätten fließen können.
Fortschritt und Zweifel
Die Frage, ob sich diese Investition lohnt, lässt sich jedoch nicht eindeutig beantworten. Womöglich können Olympische Spiele tatsächlich dazu beitragen, Städte und Regionen zu entwickeln, weil Verkehrswege entstehen und Strukturen modernisiert werden. Zudem sind die Spiele ein Fest, das besondere Gefühle erzeugt, Erinnerungen schafft, die Wahrnehmung einer Stadt im Inneren und von außen ändern kann.
Niessen meint, dass die Menschen in NRW »schon jetzt gewonnen« hätten. Im Zuge der Olympiapläne wurde gerade ein Sportstättenförderprogramm für den Breitensport beschlossen, der Etat von 600 Millionen Euro kann direkt von Vereinen und Kommunen abgerufen werden. Dirk Jansen vom BUND spricht angesichts solcher Investitionen und Fortschritte einen naheliegenden Gedanken aus: »Wir kämpfen seit Jahrzehnten für autofreie Innenstädte, für eine vernünftige Mobilität. Aber wenn wir zur Umsetzung notwendiger Dinge Olympische Spiele brauchen, dann läuft doch irgendwas falsch im Lande.«
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