Reden mit Russland

In Zeiten wachsenden Misstrauens darf Dialog kein leeres Wort bleiben, meint Klaus Joachim Herrmann

  • Klaus Joachim Herrmann
  • Lesedauer: 4 Min.

Panzer fahren auf Moskaus Straßen gewöhnlich nur in kritischsten Situationen auf, also wenn es um die Macht im Staate oder um den Staat selber geht. So wie im August 1991 oder Oktober 1993. Paraden, wie die an diesem 9. Mai zum 73. Jahrestag des Sieges der Sowjetunion im Großen Vaterländischen Krieg über das faschistische Deutschland, haben eher festlichen Charakter. Doch natürlich ist die Heerschau eine Demonstration der Macht, Warnung und Drohung auch. Der Krieg in Syrien und der Ukraine-Konflikt, Sanktionen und Gegensanktionen, eine erbitterte Propaganda- und diplomatische Schlacht gehören zur neu aufgelegten Ost-West-Konfrontation.

»Wir könnten alle besiegen, doch weiß der Teufel, um welchen Preis«, sagen russische Bürger. Laut Lew Gudkow, Chef des unabhängigen Meinungsforschungsinstitutes »Lewada«, sehen sie in Befragungen das Land schon in einem dritten Weltkrieg, wenn auch noch in der ersten »kalten Phase«. Die Konfrontation mit dem Westen habe einen scharfen Anstieg des »patriotischen Adrenalins«, des Stolzes und Selbstvertrauens vor allem junger Menschen bewirkt. Sorge und eine gewisse Angst machten sich bei älteren Menschen breit.

Die USA und Großbritannien wollten Russland schwächen und erniedrigen, es wächst das Misstrauen gegenüber dem Westen. Dies ist auf der Gegenseite seit jenem schicksalhaften Jahr 2014 mit der Krim-Übernahme durch Russland und seiner Rolle im Donbass-Konflikt kaum anders. Als die Ukraine unter schwerstem Druck beider Seiten zur Entscheidung zwischen Russland und der EU gezwungen wurde, brach der mit dem Untergang der Sowjetunion überwunden geglaubte Ost-West-Konflikt mit aller Macht wieder auf. Moskau spielte Großmachtstärke aus, der Westen die Arroganz des Siegers in der Systemauseinandersetzung.

Respekt für Interessen der wieder erstarkten Kernmacht des überwundenen Gegners kam darin nicht vor. Mit dem provokanten Einrücken der NATO in frei gewordene Räume oder dem Regimewechsel in Kiew lieferte auch der Westen seinen profunden Beitrag zur Verschärfung der Lage. Die NATO schmiedet ihre »Speerspitze«, Alliierte schießen Raketen nach Syrien und treffen wenigstens russische Stützpunkte (noch) nicht. Mit der NATO rückt die Bundeswehr nach Osten vor und ruft nach warmer Kleidung - was für eine üble historische Parallele, erinnert man sich des russischen Winters 1941/42. Der Westen dämonisiert den Kremlchef, verhängt Sanktionen, schmeißt dessen Diplomaten zu Dutzenden raus, erklärt ihn zum Hacker und Giftmischer - weil es ja nun mal kein anderer sein könne.

Doch wie im Falle des Ex-Doppelagenten Skripal gibt es auch gegen Dialog »keine alternative plausible Erklärung«. Viele Fäden wurden zerrissen. Doch selbst Bundesaußenminister Maas räumt Gesprächsbedarf ein. Russland werde als Partner gebraucht, »etwa für die Lösung regionaler Konflikte, für Abrüstung und als wichtige Stütze der multilateralen Ordnung«. Doch pflegt der neue Mann selbst nach Ansicht gegenüber Russland nicht zimperlicher deutscher Medien eine »robuste Sprache«, und sein Dialog ist nur ein leeres Wort. Ihm sind zum Antrittsbesuch bald ein Dutzend Länder wichtiger gewesen als Russland. Bundespräsident Steinmeier offenbart tiefe Sorge. Russland dürfe nicht zum Feind erklärt werden. Aufgabe verantwortlicher Politik sei es, »gefährlicher Entfremdung entgegenzuwirken«.

Die gerät zum eigenen Schaden. »China ist wichtiger«, titelt die Internetzeitung »gaseta.ru«. Dort sei sicherer Absatz für Erdöl, gebe es Kredite und keine Sanktionen. Wer um die Zukunft wissen will, sollte der Spur des Erdöls folgen. Moskau orientiert sich mehr nach Peking als nach Brüssel. Berlin mag Washington nicht verprellen und lobt dessen Raketen, wenn es schon nicht mitschießen will, kann oder darf. Es stöhnt unter den antirussischen US-Sanktionen wie unter den eigenen. Berlin wird um eine Entscheidung zwischen deutschen und den Interessen der Führungsmacht nicht herumkommen. Die folgt, wie einst auch die Sowjetunion, brutal eigenen Linien. Vielleicht finden Nord- und Südkorea so überraschend zusammen, weil sie einer Lösung des Konfliktes nach Art des US-Präsidenten entgehen wollen.

Der erneute Amtsantritt von Präsident Putin oder der 73. Jahrestag des Sieges im Zweiten Weltkrieg sollten der deutschen Politik mehr als diplomatische Glückwünsche nach Moskau wert sein. Am besten den Dialog.

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