Wie Unmenschlichkeit salonfähig wird

Eine Umfrage zur Migrationspolitik droht von der Politik zur Stimmungsmache benutzt zu werden

Eine geflüchtete Frau aus Russland wird in der Zentralen Ausländerbehörde Brandenburgs von einer Mitarbeiterin erkennungsdienstlich registriert.
Eine geflüchtete Frau aus Russland wird in der Zentralen Ausländerbehörde Brandenburgs von einer Mitarbeiterin erkennungsdienstlich registriert.

Die Yougov-Umfrage birgt erheblichen Konfliktstoff. Eine Mehrheit der Befragten spricht sich darin für den Kurs der Bundesregierung aus, das Asylrecht weiter einzuschränken und die Zahl der Migranten zu reduzieren. Schon in der Vergangenheit wurden solche Meinungsbilder genutzt, um die gesellschaftliche Stimmung für weitere Verschärfungen in der Migrationspolitik vorzubereiten. Auch dieses Mal besteht die Gefahr, dass die Umfrage dazu dient, eine zunehmend inhumane Politik zu forcieren.

Seit seinem Amtsantritt versucht Innenminister Alexander Dobrindt (CSU), die Asylzahlen um nahezu jeden Preis zu senken. Dabei nimmt er Maßnahmen in Kauf, die grundlegenden humanitären Prinzipien widersprechen. Diese Haltung fügt sich in eine europäische Asylpolitik ein, die immer stärker auf Abschottung setzt. Deutschland trägt etwa die gemeinsame europäische Asylpolitik mit, die es ausdrücklich erlaubt, auch Familien mit ihren Kindern in haftähnlichen Zentren unterzubringen. Die Bundesregierung unterstützt zudem weiterhin die sogenannte Küstenwache Libyen, die immer wieder gegen überfüllte Schlauchboote mit Flüchtenden vorgeht – mit teils tödlichen Folgen. Der moralische Wertekompass der Bundesregierung unter Kanzler Friedrich Merz (CDU) scheint dabei zunehmend verloren zu gehen.

Auffällig ist, wozu keine Meinungsbilder erhoben werden: Dass Schutzsuchende etwa hilflos in der Wüste ausgesetzt werden, wie es tunesische Sicherheitskräfte tun – trotz einer Kooperation mit der Bundesregierung. Oder dass es willkürliche Zurückweisungen an der polnischen oder litauischen EU-Außengrenze gibt. Dabei handelt es sich um unmittelbare Folgen der aktuellen Migrationspolitik, die allzu oft ausgeblendet werden, obwohl sie in die öffentliche Debatte gehören.

Wer über Migrationspolitik spricht, sollte den Fokus nicht auf Abwehr und Abschreckung von Flüchtenden verengen. Das ist nichts anderes als eine zynische Form der Symptombekämpfung. Nachhaltiger wäre eine Politik, die sich ernsthaft mit der Reduzierung von Fluchtursachen befasst. Dazu gehören eine konsequente Klimaschutzpolitik und deutlich stärkere Anstrengungen in der Entwicklungszusammenarbeit. Doch auf diesen Feldern vernachlässigt die Bundesregierung ihr Engagement. Dabei braucht es dringend verlässliche Perspektiven für Menschen in Ländern wie Guinea, Nigeria oder Pakistan, damit sie sich nicht auf eine oft lebensgefährliche Odyssee begeben müssen – getrieben von der Hoffnung auf eine Zukunft fern ihrer Heimat.

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