»Blumennamen sind Liebesworte«

Byung-Chul Han zelebriert ein »Lob der Erde«

  • Irmtraud Gutschke
  • Lesedauer: 5 Min.

Sein Vorname Byung-Chul, so heißt es auf Seite 63, bedeute »helles Licht«. Wobei der Philosoph wohl weiß, dass zum Lichten das Dunkle gehört. »Melancholie liegt unter dem Glück.« Oder hinter? Nein, das ist von ihm präzise formuliert: Wenn das Glück aufreißt, manchmal sogar im Verglühen, kommt die Melancholie hervor. Wir leben Polaritäten. Wenn wir uns besinnen, werden wir dessen gewahr.

Byung-Chul Han aber meint, dass es uns gerade am Besinnen fehlt. 1959 in Seoul geboren, habilitierte er sich im Jahre 2000 an der Universität Basel und ist, mit einem Umweg über Karlsruhe, jetzt Professor an der Hochschule der Künste in Berlin. Wo er nun wahrscheinlich auch bleiben wird, wie wir nach der Lektüre dieses Buches vermuten. Denn zusammen mit seinen Pflanzen hat er Wurzeln geschlagen. Einen Garten, den man liebt, gibt man nicht so leicht auf.

An einer Stelle des Buches beschreibt er, wie er nach der Rückkehr von einer Reise nachts noch in seinen Garten eilte - zu seinen »Geliebten«. Sprachmächtig erlebte ich den Philosophen schon in früheren Büchern, aber noch nie so emotional hochgestimmt. Was ihm widerfahren sein mag, sinnierte ich beim Lesen. Aber reicht es nicht, dass ihm ein Garten widerfuhr? Das Pflanzen und Jäten, das hier ausgiebig beschrieben wird, geht bei ihm einher mit Selbstreflexion. Wie es sich für einen Philosophen gehört, weiß er sich in einem tiefen Zeitstrom. Mit einem Zitat aus dem »Buch Hiob« beginnt es und setzt sich fort mit Laotse. Schuberts »Winterreise« durchklingt immer wieder den Text, Kant, Hölderlin, Schiller, Heidegger, Walter Benjamin und, und, und werden aufgerufen.

Novalis’ »Blaue Blume« darf nicht fehlen. Heliotropium arborescens, die Vanilleblume, werde ich unbedingt dieses Jahr in meinen Garten bringen. Auch die Zaubernuss (Hamamelis) will ich jetzt haben und den Winterschneeball. Auf die strahlend blaue Anemone blanda habe ich Lust bekommen, der Gottfried Benn ein Gedicht gewidmet hat. Und meine Funkien, deren kurze Blüte mir eher unscheinbar erschien angesichts der prächtigen Rosen, werde ich von nun an besser zu würdigen wissen, weil Byung-Chul Han sie in ihrer besonderen Schönheit beschreibt.

»Blumennamen sind Liebesworte« - hier finden sich viele davon. Neben den deutschen gibt es immer auch die lateinischen Bezeichnungen. Adorno wird zitiert: »Wenn die Linien unseres Schicksals zum unentwirrbaren Netz sich verstricken, dann sind Namen je und je die Siegel, die der Lineatur aufgeprägt werden …, indem sie uns Initialen vorhalten, die wir nicht verstehen, aber denen wir gehorchen.« Das bezieht sich hier nicht auf Gewächse, sondern auf den derzeitigen südkoreanischen Präsidenten. Statt Moon Jae-in, was »Problem« bedeutet, hätte der Autor lieber dessen Opponenten Ahn Cheol-soo, »herrliches Licht«, im Amt gesehen, der die Industrie stärker kontrollieren, sich für eine bessere Verteilung von Wohlstand und Lebenschancen einsetzen wollte. Wobei bekannt ist, dass auch viele Pflanzen ihre Signatur bereits im Namen tragen.

Gartenbücher sind Aufforderung zur Achtsamkeit: sich vertiefen bei der Arbeit mit der Erde. Verweilen. Staunen über jenes zyklische Weltgefühl, das sich einstellt - dem Wissen zum Trotz, dass wir linear gepolt sind und so, wie wir sind, im Kreise unserer Lieben nicht wiedergeboren werden können. »Die Zeit des Gartens ist die Zeit des Anderen«, schreibt Byung-Chul Han. »Jede Pflanze hat ihre Eigenzeit.« Der Garten habe ihm eine intensive Zeiterfahrung gegeben. »Er gibt mir Sein und Zeit.«

Ja, wenn man dem Wachsen und Werden Vorrang einräumt. Nicht so wie ich in diesem Moment, da die Sonne mich in die Beete ruft, während ich mit diesem Buch befasst bin, das ich gern und mit Gewinn gelesen habe. Und nun, darüber schreibend, will ich mir einreden, dass auch dabei »Sein und Zeit« zu gewinnen sei. Weiß ich’s? Unabwendbar ist, dass es angesichts begrenzter Zeit immer dieses »Entweder - Oder« gibt. Wer denkend lebt, weiß um die Verluste hinter dem geistigen Gewinn.

Zu Byung-Chul Hans zahlreichen Büchern gehören »Müdigkeitsgesellschaft« und »Transparenzgesellschaft« über die Selbstausbeutung und die Hyperkommunikation im neoliberalen Zeitalter, die totale Ausleuchtung, die zu einer besonderen Art des seelischen Burn-outs führt. So wie er nach den Bedingungen individueller Existenz fragt, kann ein Garten tatsächlich eine Antwort sein. Natürlich ist das ein Rückzugsort, ein kleines Stück heile Welt inmitten von Umständen, die unzufrieden machen. Es gibt massenhaft Gartenbücher, doch dieses stammt von einem Philosophen, der um seine Ohnmacht weiß, die ganze Welt zu verbessern, und hier lediglich von seinen beglückenden Erfahrungen schreibt. Den Kontrast dazu hat man als Leser doch immer im Blick.

An wissende Leser richtet sich der Autor, an solche Menschen, die wie er selbst, ein Ungenügen spüren und nicht einfach nur mit fliegenden Fahnen der Digitalisierung entgegeneilen können. Sie werden diese nicht aufhalten, das wissen sie, aber die Freiheit der Skepsis kann ihnen niemand nehmen. »Angesichts der Digitalisierung der Welt täte es not, sie zu reromantisieren, die Erde, ihre Poetik wiederzuentdecken, ihr die Würde des Geheimnisvollen, des Schönen, des Erhabenen zurückzugeben.« Dieser Satz dürfte höhnische Kommentare einbringen, was wieder ein Beweis dafür wäre, wie weit wir im gegenseitigen Ausschließen schon gekommen sind. Wer verurteilt, erhöht sein Ego und kaschiert diesen narzisstischen Antrieb mit allgemeinem Interesse. Eine andere Sicht verstehen zu wollen, bringt weniger Effekt, wirkt in der Sanftheit irgendwie kraftloser, wobei es doch auf das Integrieren ankommt, um aus unterschiedlichen Herangehensweisen etwas zu lernen.

Es macht dieses Buch nicht kleiner, wenn man es ein literarisches nennt. Wie viel Mut mag es den Autor gekostet haben, sich so persönlich zu offenbaren. Bei der Arbeit im Garten scheint er tatsächlich sein Selbst befreit zu haben. Angesichts des berühmten Rilke-Gedichts »Rose, oh reiner Widerspruch« sehnt er sich nach einem »Rosenschlaf«, der tief, aber hell sein möge. »Ich würde gerne mich wegschlafen zu Niemand, zu Namenlosem. Das wäre eine Erlösung. Heute sind wir nur noch mit dem Ego beschäftigt. Jeder will jemand sein, laut, jeder will authentisch sein, anders als andere.« Wie daraus eine Sehnsucht nach Stille erwächst, davon handelt dieses Buch.

Byung-Chul Han: Lob der Erde. Eine Reise in den Garten. Mit Illustrationen von Isabella Gresser. Ullstein Verlag. 156 S., geb., 24 €.

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