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Scheuer einigt sich mit Toll Collect

Der Bund erhält 3,2 Milliarden Euro Schadenersatz für Fehlstart bei der Lkw-Maut

  • Hermannus Pfeiffer
  • Lesedauer: 3 Min.

14 Jahre lang hat es gedauert, bis sich die Bundesregierung im Dauerstreit um Einnahmeausfälle bei der Lkw-Maut mit den beiden Hauptgesellschaftern des Betreiberkonsortiums Toll Collect verständigen konnte. Die Finanzsparte des Autokonzerns Daimler und die Deutsche Telekom werden insgesamt rund 3,2 Milliarden Euro an den Bund zahlen. Ursprünglich hatte Toll Collect im Sommer 2002 von der Bundesregierung den Zuschlag erhalten. Das Unternehmen mit Sitz in Berlin sollte ein System zur Einnahme der Lkw-Maut auf deutschen Autobahnen aufbauen und betreiben. Für das technische Wissen wurde der französische Autobahnbetreiber Vinci eingebunden und mit zehn Prozent an Toll Collect beteiligt.

Kurz vor der Bundestagswahl unterzeichnete Verkehrsminister Kurt Bodewig (SPD) damals den Vertrag. Für den Betrieb des Mautsystems sollte Toll Collect jährlich etwa 650 Millionen Euro aus den Milliardeneinnahmen erhalten. Doch technische Probleme führten zu langen Verzögerungen bei der Einführung: Statt 2003 startete die Lkw-Maut erst mit 16-monatiger Verspätung und dann zunächst nur mit eingeschränkten Funktionen.

Es folgte ein jahrelanger Streit um die entgangenen Milliardeneinnahmen vor einem privaten Schiedsgericht. Beide Seiten mussten laut Bundesverkehrsministerium Hunderte Millionen Euro für Anwälte, Gutachter und Verfahrenskosten aufbringen. Insgesamt dürfte das Verfahren eine halbe Milliarden Euro verschlungen haben. Die Einigung muss noch vom Schiedsgericht bestätigt werden. Im Bundesverkehrsministerium hält man die Zustimmung für reine Formsache.

Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer bezeichnete den Kompromiss am späten Mittwoch als »einen historischen Durchbruch«. Er habe die Verhandlungen mit Daimler und Telekom zur Chefsache gemacht, weil er keinen Streit für die Ewigkeit wollte. »Wir haben nun die bestmögliche Lösung für den Steuerzahler erreicht - mit einem für beide Seiten fairen Vergleich«, so der CSU-Politiker Scheuer.

Wie »fair« der tatsächlich ist, bleibt umstritten. Wie hoch der Einnahmeverlust des Bundes möglicherweise war, zeigt das vergangen Jahr: Für 2017 waren rund 4,7 Milliarden Euro Einnahmen aus der Lkw-Maut im Bundeshaushalt veranschlagt worden. Diese wurden »annähernd zu 100 Prozent realisiert«, heißt es bei der bundeseigenen Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschaft. Für 2018 erwartet der Bund Einnahmen in Höhe von rund 5,7 Milliarden Euro. Der Großteil davon soll in Erhalt und Ausbau des Fernstraßennetzes fließen. Angesichts solcher Summen erscheinen die verabredeten 3,2 Milliarden Euro - darin enthalten sind auch Vertragsstrafen und Zinsen - eher als gutes Geschäft für Daimler und Telekom. Deren Chef Tim Höttges bezeichnete den Ausgang denn auch als »faires Ergebnis«.

Der Mautbetreibervertrag enthält eine sogenannte Schiedsklausel. Streitigkeiten können daher nicht vor ordentlichen Gerichten ausgetragen werden. Wegen der Verspätung hatte die Bundesregierung vor dem privaten Schiedsgericht auf Schadenersatz geklagt - der Mautbetreiber konterte mit einer Gegenklage wegen einbehaltener Vergütungen. Fortan stritt man sich über die Qualität von Gutachten, ob überhaupt ein »Fehler« im Mautsystem vorliegt oder über die Zusammensetzung des Schiedsgerichts. Dieses tagt ohnehin nur alle zwei Jahre hinter verschlossenen Türen. Zuletzt forderte der Bund von Toll Collect 9,5 Milliarden Euro - die Forderungen des Unternehmens an den Bund betrugen 4,9 Milliarden.

Grüne und LINKE im Bundestag kritisieren den jetzigen Deal. Der Verein LobbyControl sieht in Toll Collect »ein Paradebeispiel« für die Probleme, die sich aus der Gründung einer »Public Private Partnership« ergeben können: »Intransparenz, hohe Kosten und lange Dauer von Verfahren bei den Schiedsgerichten.«

Der Vertrag mit Toll Collect endet am 31. August. Für die Suche nach dem neuen Betreiber hat der Bund 2016 eine europaweite Ausschreibung gestartet. Die Regierung will das Mautsystem für Autobahnen und Bundesstraßen zunächst selbst übernehmen und nach sechs Monaten reprivatisieren. Mit im Rennen ist dann auch wieder Toll Collect.

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